Harald Baloch

Lieber Martin Krusche,

Dein Text "Open Space" ist sehr aufschlußreich, umgeht und verschleiert jedoch den realen Konflikt zwischen "Graz03" und "Graz2003". Dabei geht es - aus meiner Sicht - nämlich gar nicht um die "Literarität" und "Freiheit" von Meinungsäußerung (wer sollte denn diese in Frage stellen?), sondern um deren transparente Zuordenbarkeit zu Personen und Institutionen.

Ich nehme als fallweiser Benutzer des Internets (in dem ich grunsätzlich einen Zuwachs an Demokratie und Meinungsvielfalt sehe) folgende problematische Aspekte wahr.

a/ In Diskussionsforen und Chatrooms kann unter dem Schutz einer absolut gewährten Anonymität (Verfasser sind sogar den Eigentümern von Hompages meist unbekannt) auch der größte Nonsense publiziert werden.
b/ Unser Beispiel: Man kann sich eine (oder gleich mehrere) leicht verwechselbare Webadressen sichern, um die eigenen (Gegen-)Informationen qua gewolter Verwirrung bei der Suchabfrage schneller zu plazieren.

Letzteres geschieht - wie im vergleichbaren Fall des Namens/der Marke "Euro" - nicht selten mit banal kommerziellen Absichten, den leicht erhaltenen Markennamen dann wieder verkaufen zu können. Von hehren Predigten und Medienfreiheitstheorien lasse ich mich dabei nicht gleich täuschen, ebensowenig davon, das Ausreizen digitaler Information zu Lasten anderer als Medienkunst zu kaschieren, verbunden mit einem (mir) unerträglichem Pathos, den medial Unterdrückten eine Stimme zu geben. Wie Du die Graz03-GmbH. mit zwei Sätzen (deren Tempoangabe "Insinuendo" lauten könnte) in die Nähe von "Companies" rückst, welche "Lebewesen und deren Basis...Genome" verwerten, rechne ich zu den schlichten Methoden der Ideologiebildung und der abstrahierenden Pauschalierung. Das ist leider "Medienkompetenz" - aber vom Boulevard abgelesen.

Deine im Begleitbrief geäußerte Vermutung, ja schon die Frage, ob meine Position darauf beruhe, dass ich dem Programmkreis von Graz 2003 angehöre, ist eigentlich eine Frechheit und zählt - um eine Deiner Formulierungen zu gebrauchen - auch nur zu den "alten Verhaltensweisen der traditionellen Lobbies". Es wird nämlich da unterstellt, dass ein einzelner einfach zuordenbar ist; und er hat dann überhaupt keine Möglichkeit, dem zu widersprechen.

Zu Deiner Themenskizzse möchte ich noch eine Bemerkung anfügen, welche die plakative Frage "Und was wird hinter geschlossenen Türen beschlossen?" betrifft. Diese Frage mengt zwei Probleme ineinander: den Inhalt von Beschlüssen und die Art, wie sie getroffen wurden. Über das "Was" der Entscheidungen des Programmintendanten (oder allgemeiner: jeder Art von Gremien) gibt es kaum Unklarheiten. Hinsichtlich Graz03 werden alle getroffenen Entscheidungen letztlich als "Programm" vorliegen.

D.h., es wird von Dir eigentlich die Tatsache (ich betrachte sie im Rahmen von Entscheidungsprozessen als zeitweise unvermeidbare und hilfreiche Notwendigkeit) von "geschlossenen Türen" in Frage gestellt. Mich würde interessieren, was Du damit genau meinst. Denn ein radikaler Open Space für alle Entscheidungsprozesse in Kultur und Politik würde bedeuten, dass jedes Gespräch öffentlich sein müßte und voll mitdokumeniert würde. Wie sich dann die kritische Öffentlichkeit noch von den Geheimdiensten unterscheiden würde, weiß ich nicht. Dieses Dilemma der Kommunikation ist wohl nur pragmatisch auszuhalten. Denn selbst wenn es eine einforderbare Erklärungspflicht für Motive und Ziele von Entscheidungen gäbe, wie wüßte man, ob man die "wahren" Motive und die "eigentlichen" Argumente erfährt.

Soweit mein Feedback. Du kannst es ruhig veröffentlichen.

Mit besten Grüßen
Dr.Harald Baloch

----- Original Message -----
From: "martin krusche" mk19846@i-one.at
To: "Harald Baloch" h.baloch@netway.at
Sent: Friday, November 09, 2001 6:02 PM
Subject: :-))

> servus harry!

> ich hab auf der website entdeckt, daß du dem programmarbeitskreis für 2003
> angehörst. wurzelt darin dein unmut über meine position in dieser
> kontroverse?
>
> sieh dir die hier angehängte themenskizze an. wenn du laune dazu findest. es
> würde mich SEHR interessieren, wie du darübr denkst.
>
> yours!
> martin