Martin Wanko [10•02]

KEN a crime story

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Ich verlasse das Café, viel Dunst, viel Staub, Atemprobleme. Vor mir eine Imbissbude. Ich bestelle eine Portion Curryreis, der dicke Chinese langt kräftig zu, schiebt mir den übervollen Becher entgegen. Keine drei Bissen, und ich bin satt. Ein streunender Hund pinkelt auf meine Hose, ich werfe ihm den Reis nach. Der Becher bleibt neben einem Bettler liegen, er würdigt ihn keines Blickes. Ich ordere ein Bier, schmeckt nach eisgekühlter mexikanischer Pisse. Vielleicht doch ein schwarzes Hemd, mit großen weißen Lettern, das Wort Mörder soll aufgedruckt werden, mit Ort, Datum und Uhrzeit. Die ganze Welt soll so erfahren, dass ich ein Mörder bin, zumindest soll sie mich als so einen behandeln, achten oder verachten, je nach dem. Die paar Bissen Reis treiben mir Schweiß ins Gesicht, die junge Blutkruste beginnt zu jucken, meine neue Rohseidenhose riecht nach Pisse, der Penner rührt den Reis nicht an, und der Chinese ist mächtig vertieft in eine Zeitung, ignoriert sehr gekonnt, dass ich sein Essen in die Luft gewirbelt habe. Was ist das nur für ein verschissener Tag?! Scheiße! Rufe ein Taxi, ab in die nächste Schneiderei. Die Straßen werden enger, der Asphalt brüchiger. Wir holpern von einem Schlagloch ins nächste. Der Taxi-Fahrer bescheißt mich, wir fahren im Kreis, weiß Gott wohin, mich stört es nicht. Die Klimaanlage ist intakt, das ewige Schlottern des schlecht montierten Radios wiegt mich fast in den Schlaf. Lehne meinen Nacken zurück, lege meine Hände auf die Armaturen, das spröde gewordene Leder nimmt dankbar die warmen Schweißtropfen auf. Viele kleine bunte Geschäfte, heute verwahrloste Rattenhochburgen, noch vor zwanzig Jahren lauerte hier das Leben. Beim Schenken an Zigaretten denken, ein Schild, nur noch an einem Nagel befestigt, baumelt selbstvergessen im Wind. Vollbremsung, zur linken Hand eine Schneiderei.

Angekommen, ausgestiegen, hineingestürmt. Ich präsentiere dem Schneider Plastik-Ken, kratze mir die frische Blutkruste ab, esse sie instinktiv, blute nun wie die letzte Sau. Ein Wisch über mein Gesicht, alles rot, die Kruste bleibt zwischen meinen Zähnen picken. Ich lache und lüge, schwafle wirres Zeug über eine Ken - Party als Grund, warum ich das Puppenoutfit in Lebensgröße benötige. Immer wieder ertappt man sich in den selben Fallen. Wenn man schon sonderbare Wünsche hat, soll man sie niemals erklären. Jede noch so dezente Meldung entpuppt sich als unertragbare Peinlichkeit. Nur schnell raus, aus dieser Situation. Der Mann nimmt Maß, fühlt das Material der Ken-Mode, atmungsaktive Plastikscheiße, macht sich einige Notizen, blickt dabei auf den Bestellschein, und schon ist Ken wieder in meiner Manteltasche verschwunden. Der Schneider greift ins Leere, ich deute Schicksal, lächle abermals, zahle in Cash. Schiebe ihm das Foto aus der Ken-Verpackung über den Ladentisch, er nickt dankbar, meint, in rund drei Tagen sei die Arbeit verrichtet. Nur noch einige Erledigungen, und dann zurück zu Ken, ich fühle mich einsam und verlassen, denke an John Cales Heartbreak Hotel.

Auf dem Heimweg, Gedanken. Kens Augen, sind sie in der Versenkung geblieben oder wieder aufgetaucht? Vielleicht haben sie es doch noch einmal geschafft herauszukriechen. Das Leintuch steht ihm ziemlich gut, es schenkt ihm Würde, die Farbe weiß gibt der Sache einen klinischen Touch. Ich muss mein Schlafzimmer ausweißen, die schwarzen Möbel gegen weiße ersetzten, nur der Boden soll grau bleiben. Meine Gedanken geben mir neue Kraft, erstmals muss ich selbst Hand anlegen, die Sache entwickelt sich. Ich betrachte die Welt aus meinem Zimmer, vielleicht ein Rückzug von der Außenwelt? Die zwei Seiten des Mondes. Einerseits treibt mich Ken in den Wahnsinn, anderseits tut er mir gut, bringt mich auf neue Ideen, vertreibt das Gefühl der innerlichen Leere. Wenn er nur nicht so einsam wäre - vielleicht sollte ich nach einer Barbie - Puppe Ausschau halten.

Lila leuchtet mir die Aufschrift des Drogeriemarktes entgegen. Ich stehe nun vor einem halben Dutzend Pflegesets, weiß der Henker, warum Kens Nägel noch wachsen müssen. Für ihn ist mir nichts zu teuer, ich entscheide mich für das Platin - Set. Einen Toten zu pflegen, was für ein Gedanke. Vielleicht habe ich ihn nur deshalb getötet, weil in jedem so eine Mutter steckt. Der Gedanke verliert jedoch an Witz, mir kommen die Windeln in den Sinn, die ich Ken kaufen muss. Letzte Nacht hat sich das Schwein angeschissen.

Was ist passiert? Nächtliche Rückkehr in Kens Wohnung. Die Szene war unverändert, Ken lag noch immer auf dem Boden. Dieser glänzte im tiefen Blau, die nun schwärzlichen Kakteen ragten gegen den Himmel, der Mond spendete genug Licht, dass ich nicht über die Leiche stolperte. Besoffen wie ich nun einmal war, strengte mich der Gang durch das Stiegenhaus so sehr an, dass ich mich auf das Sofa neben Ken begab. Wenn mich nicht doch eine rettende innerliche Stimme geweckt hätte, würde ich vielleicht noch immer neben dem Toten pennen oder bereits im Kittchen fleißig Protokolle ausfüllen. Wie einen Mehlsack kippte ich ihn über meine Schulter, und so griff ich in die Scheiße, in kalte dichte Scheiße. Ein ernüchternder Moment. Mir trieb es den übelsten aller Gerüche in den Schädel, tote fremde Scheiße, ich hätte Ken fast fallen gelassen. Ich musste in Trance gewesen sein, nicht nur im Vollrausch: Was um alles auf der Welt, trieb mich an den Ort meiner Todsünde zurück. Abermals durch das Stiegenhaus, hinein mit ihm in den Kofferraum, ohne jegliche Deckung, nicht einmal einen Kartoffelsack über Kens Schädel gestülpt, Größenwahn total. Starte das Auto, cooler Sound, quietschende Reifen, ab nach Hause. Mein erster folgenschwerer Fehler.

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