Martin Wanko [9•02]

KEN a crime story

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Schlechtes Gewissen, ich muss mich um Ken kümmern. Werfe einem Penner eine Winston zu. Er freut sich, nun geht es mir besser. One for the road, zwecks Kreislaufanimierung, genehmige mir eine Line und hebe langsam ab. Leider nicht schnell genug, und krache gegen einen Laternenmasten. Frontalzusammenstoß mit Folgen. Stehe auf, Drehung nach rechts, erblicke eine Auslage, in ihr ein Ganzkörperspiegel. Ein Cut an der rechten Schläfe, Blut rinnt aus. Hellrotes Blut, an der Farbe änderte sich seit meiner Kindheit nichts. Mag ich auch jetzt ein Arschloch sein, wird mir doch warm ums Herz, wenn ich meinen ewigen Wegbegleiter betrachte, der mich an Radunfälle, Rangeleien und ähnliches erinnert. Ich sehe das Blut und denke, lass einfach alles liegen und stehen, setzt dich in den Flieger, über den Wolken und so, hinein in die Sonne, up in the sky.

Beobachtungen im Spiegelbild: Hinter mir knallt sich ein Penner braunes Zeug in die Leisten, sein Kopf ist gelblich, seine Hose angeschissen. Unsere Augen treffen sich, er blinzelt, sieht mich via Spiegel an, eher sieht er durch mich hindurch, driftet ab, in eine andere Welt, in die ihm keiner folgen kann, und sackt in sich zusammen - good night spaceboy ... Ich lache: Neben dem Spiegel befinden sich Puppen in der Auslage, unter ihnen, fast wie versteckt, als ob es peinlich wäre, Ken-Puppen. Keine Boys-Play oder Muscleman Imitate, eindeutig Ken-Originale. Wenn ich daran denke, jedem Plastik-Ken die Augen einzudrücken, wird mir schlecht, wenn ich jedoch daran denke, eine Ken-Puppe zu kaufen, um meinem Ken nicht mehr in die Augen schauen zu müssen, verbessert sich meine Stimmung. Ich frage den Verkäufer nach einem Ken in Lebensgröße, dieser macht mich an, meint, er kenne einen. Ich mustere ihn, richte seine Krawatte, teile ihm mit, dass ich einen kannte. Das Koks tut also seine Wirkung. Er versucht zu lachen, und deutet mir den Weg in die Puppenabteilung. Massen von Puppen, kein Ken zu sehen. Ich laufe quer durch den Toy-Store, Panikattacken, kann nicht still bleiben, angle mir den Verkäufer abermals. "Wo ist Ken?!" schallt es aus meinem Mund, meine Augen müssen mittlerweile das halbe Gesicht einnehmen. Sam heißt der Verkäufer, zumindest sagt das ein Namensschild auf seinem Hemd. Sam kennt sich mit Menschen von meinem Schlag aus, er nimmt mich mit nach hinten, gibt mir einen eiskalten Orangensaft, dazu einen kleinen Bourbon. "Warten Sie hier!", er dreht sich noch einmal kurz um, meint, "versuchen Sie es wenigstens". Sein Kopf verschwindet zwischen den Endlosregalen. Frage des Tages: Warum müssen Kinder immer schreien, und können nie den Mund halten? Echt arg, Kopfweh total. Sirenen und Blaulicht, suchen die mich? Vorsichtig schiebe ich den Vorhang zur Seite: Vor dem Shop, eine kleine Ansammlung. Rettung, Polizei, etc., alles, was das Herz nicht begehrt. Ein hellgrau metallener Sarg wird geöffnet, das Stück Elend ist hinüber, nun wirklich auf Endlostrip unterwegs, bye-bye Spaceboy. Sein letzter Blick traf mich, was auch immer das heißen mag.

Das Warten hat kein Ende, ich vergreife mich an der Flasche Bourbon, es muss doch möglich sein, Ken zu finden. Ich höre Schritte, freue mich, Ken kommt. Vor mir ein Mann im grauen Flanell, muss irgendwo in den Fünfzigern hängen geblieben sein: Grauer Flanell, dicke Hornbrille, eine Trevira-Krawatte, große braune Punkte, gelber Hintergrund, verschwitztes Safari-Hemd, verschlissene Schlüpfer. Großer Gott! Vermutlich der Ladendetektiv, zumindest will er wissen, was ich hier mache. Zwei Möglichkeiten: Die Fresse polieren, oder die Krawatte richten. Abermals entschließe ich mich für die zweite, schenke ihm sogar noch eine Zigarette, antworte ihm jedoch nicht auf seine Frage. Ich bin kein Dieb, was soll das also. Sam erscheint, schickt den Detektiv relativ harsch weg, legt nun drei Ken vor mir auf, genehmigt sich ebenfalls einen. Aufdringlichkeit liegt in der Luft, ich schenke ihm ein halbes Gram, er blickt mich an wie der Weihnachtsbaum und ist die Fliege. So geht das. Endlich Ruhe, endlich Ken.

Heiße drei Modelle stehen zur Auswahl. Alle drei machen auf Freizeit, alle drei voll auf aktiv. Einer als Gartenlover für Sommernachtsparties inklusive Barbecue - Grill, Steaks und Schürze, einer als Raver mit DJ-Pult - leider nicht im John Travolta-Look, der letzte als Badeheini im Kombi-Angebot mit Swimmingpool, Badeschlapfen, ziemlich hässlicher grasgrüner Badehose und sonstigem Müll. So liegen sie nun alle vor mir, unschuldig wie geklonte Schafe, gleichen einer dem anderen aufs Haar. Maschinell angefertigte Wundermänner, richtig proportioniert, gutmütig grinsend, keine Drogensucht, keine Paranoia, empirische Götter. Sam ist zurück, ein Grinsen auf unseren Gesichtern, jegliche Kommentare erübrigen sich. Bei so vielen Kens, könnte meiner, der zu Hause, einen spezifischen Namen gebrauchen, vielleicht Private Ken. Wie dem auch sei, Ken muss beschenkt werden. Ich halte Sam den DJ-Ken entgegen, doch er geleitet mich zum Ausgang, und meint: "Ein Geschenk des Hauses!"

Ich packe Ken aus, prüfe die Sonderfunktionen, bewegbare Hand, kann Platten auflegen, alles beweglich, sehr gut. Taste ihn abermals ab. Ken ist schwanz- und eierlos. Barbie hat Titten, Ken keinen Schwanz, wie ungerecht. Hat Barbie eine Muschi? Ich gehe auf einen Kaffee, doppelt und schwarz, sowie einen kleinen Four Roses mit Wasser. Ich fand als Kind nichts so abscheulich wie Ken. Big Jim war genial, aber Ken schon immer ein Lulu. Ich stelle Ken vor mir auf und freue mich: Wer kann schon behaupten, einen Plastik- und einen Fleisch-Ken zu besitzen? Ich betrachte Ken, die Umliegenden mich. Davon bekomme ich Kopfschmerzen, bestelle mir noch einen, dieses mal einen Doppelten mit Eis.

Die Träume wollen mir nicht aus dem Kopf gehen, big feeling, große Befürchtungen. Zwei Träume vermischen sich, der im Sumpf, und der mit der Tiramisu-Frau, keinen träumte ich zu Ende, zu plötzlich mein Erwachen. Ich überrumpelte den Traumwächter, und der wird sich nun an mir rächen, indem er den programmierten Zufall in die Hand nimmt. Der Traum wird sich in realo fertigspielen, mit mir als Mittelpunkt.

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