Martin Wanko [702] |
KEN a crime storyEisbären
müssen nie weinen. Grauzone 1 Wische meine Stirn ab, betrachte meine salzkalten Hände. Ich lege mich auf den cremefarbenen Marmorboden, die Abkühlung tut gut, drehe mich nach rechts, und betrachte mein Werk: Well done. Dennoch, die dritte Zigarette danach schmeckt kaum schlechter als die zweite davor, und die Kotze in der Ecke des Zimmers riecht wie jede andere Kotze auch. Da ich immer kotze, wenn ich mich aufrege, ist ja auch alles bestens, klar doch! Aber es stinkt. Die Kotze stinkt, und er stinkt mittlerweile auch, zumindest bilde ich mir das ein. Ich stehe auf, meine Gelenke knacksen, greife über meine rechte Wange, der Steinboden hinterlässt einen feinen Strich auf meiner Haut, fühlt sich an wie eine hauchdünne, nicht genähte Narbe. Ich betrachte sie im überdimensionalen Spiegel, sie ist weiß und hebt sich vom übrigen Rot der Wange deutlich ab. Im Spiegelbild sehe ich meinen Schweißabdruck am Boden, besser gesagt den schweißigen Umriss meines Körpers, erinnere mich an tranceähnliche Zustände meiner Kindheit. Heiße Sommertage, an denen ich meine verschwitzte Haut auf den kühlen Balkontisch legte, im bläulich dunstigen Nichts mein Glück suchte. Unendliche Hitze, Licht-Schattenkollisionen, die durch den plötzlichen Lärm des Rasenmähers ein jähes Ende nahmen. Erschrocken riss sich mein Fleisch vom Tisch, zurück blieben diese fabelhaften Abdrücke. Eins, zwei, drei, waren sie verschwunden, die blaue, schwüle Hitze aber ist geblieben. Indochina, denke ich jetzt. Drehte ich mich um, löste mein schweißiges Abbild sich in Luft auf. So reglos er da am Boden liegt, so starr schaut er mir in die Augen, mein kleiner Ken, der Barbiepuppenlover. Seine bläulichen Augen, sein zartgeformter Mund, sein Gesichtsausdruck fragen nach einem Warum. Sein Kindergesicht weiß keine Antwort. Warum ich das machte, will er wissen, als es doch gerade noch so nett war, als er mich abknutschte, besser gesagt, es versuchte. Schon mein flüchtiges Wegdrehen hätte ihn warnen sollen. Spätestens als er nach meinem Arsch griff, hätte ihm klar sein müssen, dass ich alles will, nur eines nicht, Arsch ficken! Ich verlasse den Raum, unvorsichtige fluchtartige Bewegungen, nicht unlaut, eine Vase zerbirst. Ich steige über sie hinweg und pfeife kleine Melodien, von denen ich schon beim Pfeifen nicht einmal mehr weiß, was für welche es sind, und gleite nicht unelegant durchs Stiegenhaus. Frischluft, Freiheit, Adrenalin, und mein Walkman spielt Lust for life von Iggy Pop. Ich lache, manche Leute sterben mit einem Kindergesicht. Ein interessanter Moment, zu wissen wie es ist, wenn Gott, na ja, wenn Gott meint, dass es nun Zeit zum Gehen ist, also wenn Gott meint, genug geschissen, mein Freund, du kommst mit. Und in dem Moment, in dem man es macht, eigentlich schon in dem Moment, in dem man es vorhat, hebt man den goldenen Zeigefinger und meint, den soll's treffen, ja, da ist man Gott. Ein erhabener Moment. Und in dem Moment, in dem man zuschlägt, den Richter spielt, macht es wirklich Spaß, das ist das richtige Wort, es macht Spaß, vor allem: Man macht etwas fertig, ein rundes Ding mit Anfang und Ende, mit einer Handlung. Doch bin ich enttäuscht, denn das Leben geht weiter, die Tschiks schmecken ja wirklich alle gleich, und der Atem reguliert sich von selbst. Der arme Ken, echt bemitleidenswert, erfüllte seinen Zweck nicht. Es hat sich in mir nichts verändert, ich bin ein Mörder, und jetzt? Natürlich könnte ich zu einem x-beliebigen Passanten hingehen und ihm mitteilen:"Hey Alter, ich hab Ken um die Ecke gebracht, aber es tut sich nichts in mir - ist das nicht traurig?" Doch was bringt mir das? Der erste Mord wird gleich sein wie der zweite, vom dritten ganz zu schweigen ... . Diese Scheißwelt soll mir nun endlich einen Spaß schenken! Oh Ken, ich muss mich mit dir verbrüdern, du kannst keinen Spaß mehr haben, und ich bringe nichts mehr auf die Reihe, eigentlich zum Heulen. Ich überlege kurz, ob ich nochmals zurückgehen soll, um ihn, na ja, um ihn aufzuklären, um ihm die Wahrheit zu sagen, bleibe stehen, lache, schüttle den Kopf, lache wieder, gehe weiter. Etwas zu tun, was Ken gemacht hätte, das ist, was unserem schwulen Jungen gebührt. So als eine Art Danksagung sollte ich eine dieser Halogenlampenbars aufsuchen, mit vielen Tunten drin. Hätte er sicher auch gemacht. Ein mieser Film: Nachdem mir Ken den Arsch fickt, überredet er mich, auf einen Sprung mit in die Bar zu gehen. Er zeigt mich seinen tuntigen Freunden, stolz, frisches Fleisch an Land gezogen zu haben. Was für ein Kerl! Seine Freunde frisst der Neid, was ihn abermals geil auf mich macht. Ich gluckere mir auf seine Kosten einen an, wehrlos lasse ich mich abermals abschleppen. Wie die letzte Schlampe nützt er mich aus, und bearbeitet mich bis in die Morgenstunden. Die Sonne geht auf, die ersten Strahlen fallen auf das rosarote französische Doppelbett, und ich soll ihm noch einen blasen - Jesus, oh Jesus. Ken macht mich heiß, große Lust in mir, einen Zweiten umzubringen. Auch als Toter ist er eine lebendige Gefahr, gefährdet andere Menschen, die nichts für seine Existenz können, das ist schlimm. Wenn ich an Kens warme Wichse denke, wie sie mir brennend im Auge pickt, könnte ich mich glatt umdrehen und seinen Schädel zermatschen, vielleicht den überdimensionalen Fernseher auf seinen Kopf stürzen. Unbewusst greife ich auf meinen Arsch und lobe seine Knackigkeit, betrachte die an mir vorbeiziehenden Fettärsche, und freue mich Kens Schwanz auch nicht zwanzig Zentimeter an mich herangelassen zu haben. Ich bin stolz, zumindest in einem Punkt bin ich unbefleckt, und habe auch nicht vor, etwas daran zu ändern. Ich bin ich, und keiner von denen, gut so. Ich kaufe mir noch einige Hochglanzmagazine am Kiosk, nicht unweit von ihm erblicke ich eine Bar, die Eingangstüre halb geöffnet, dichte Rauchschwaden, Halogenlampen, vorne rosa, hinten bläuliches Licht, man spielt die Pet Shop Boys. Ein Hauch von Ken liegt in der Luft, für einen Moment glaube ich, den Ermordeten wiederzutreffen. Einwandfrei, das ist ein Ken-Lokal: Schwülstige Typen, seichte Musik und schwere Parfums. Klischees werden lebendig. Kurze Stille, erwartungsvolle Blicke treffen mich: Ich setzte mich an die Bar. Ziemliche Isolation, ich stehe auf Mösen, die auf Schwänze. Ken, das mache ich alles dir zu liebe. Bestelle einen Gin Fizz, nicht ohne Grund: Das ist ein Ken-Getränk, zumindest roch er danach, als er versuchte mich anzuschmusen. Vor mir der Drink, das Tonic Water zischt wild, und nagt am Eis. Ich führe ihn zu meiner Nase, Übelkeit, mein Mund wässert, Erinnerungen an Ken rasen mir durch den Kopf. Nun bin ich mir sicher, Ken hatte zuvor Gin Fizz getrunken. Auf Ken! Ein hastiger Schluck, der angesammelte Speichel zieht sich in seine Startlöcher zurück - kein zweites Gekotze heute. Schluck für Schluck senkt sich das Herzpochen, der Adrenalinstoß verebbt. Ich bestelle einen zweiten, einen dritten, die große Aufregung ist dahin, ein Gefühl des Bedauerns macht sich breit. Einfach schade, dass ich niemals jemandem erzählen kann, was ich getan habe. Gin Fizz Numero vier, Ken mein Verbündeter. Trinke Bruderschaft, stoße symbolisch mit dem unsichtbaren Himmel an, betrachte im Panoramaspiegel mein leicht fettiges Haar und meinen durchnässten Seidenanzug, Mann, schaust du aus! Zweifel kommen auf, hätte dich doch nicht vergiften sollen, Bruder Ken. Ich komme mir unter den Mördern wie ein Mädchen vor. Bloß nicht vergiften, eine Bluttat vielleicht, natürlich wäre es eine Bluttat gewesen: Das Blut macht den Mann, der Mann braucht den Kampf. Das Herz rausreißen und in sein staunendes Maul stecken, da hätte er wirklich Augen gemacht, zumindest nach keinem Warum gefragt. Doch die Wahrheit ist nun mal bitter, kein Abschiedsgespräch, nicht einmal für das reichte es. Gin, der fünfte, dieses Mal pur. Bruder Ken, ich gestehe, ich bin ein Sünder, ich bestahl dich, ich brachte dich um dein Abschiedsgespräch, deine letztmögliche Handlung, und um deinen ehrenhaften Tod. Salute und ex! Schwerste Trunkenheit, Bruder Alk auf Besuch, Venenparty voll im Gange. Konspirative Dreierrunde. Ken, mein Bruder Alk, Alk, das ist Bruder Ken, meine Wenigkeit kennt man ja. Die Form ist wichtig, denke ich, glaube ich, weiß ich. Die Form. Man stellt seine Brüder vor, muss man machen. Ab nun unterhaltet euch bitte selbst, ich muss mich schonen, neue Kräfte mobilisieren. Der Barkeeper, verdoppelt sich, macht mich an, besser ich hebe ab. Die blendende Sonne erschwert die Sicht, der Suff knallt mir durch den Schädel, eine Armada der Nüchternen wächst mir entgegen, doppelte bis dreifache Ausführung. Ich rufe ein Taxi, in welches der drei soll ich nun steigen, frage ich mich, stolpere über die Gehsteigkante und küsse den Asphalt. |