|
Wo sind die alten Wege, die ich damals ging? Von Gras überwachsen, von Buschwerk umringt.1 |
||
Du befindest Dich im
Bereich
|
Überlegungen zur regionalen Identität | ||
Von Ein Problem? Schwieriger Begriff Individuum und Kollektiv Peripherie und Zentrum Regionalismus Handeln im Zeitalter der Telekommunikation Fußnoten
Text-Download als RTF-File
|
Daß Regionale Identität in aller Munde ist, ist ein Zeichen dafür, daß sie zum Problem geworden ist. Der inflationäre Gebrauch der Vokabel "Identität" allein ist ja schon als Verlustanzeige zu werten. Vorab möchte ich einige Worte dazu sagen, warum ich nicht statt von "Regionaler Identität" von "Heimat" spreche. Beide Begriffe beschreiben annähernd dasselbe. Es geht um lokalisierbares und um eine "innere" Struktur. Obwohl es besser ist, mit alten Worten Neues als mit neuen Worten Altes zu sagen, wie Karl Kraus einmal gemeint hat, halte ich es für besser, "Heimat" einem anderen Zusammenhang zu überlassen. Einerseits weil der Begriff historisch belastet ist und andererseits weil zu viel an vielschichtiger Emotionalität mitschwingt, um mit ihm auf dieser Ebene arbeiten zu können. In Anlehnung an die falsche Wärme der Kultur möchte ich von der falschen Wärme der "Heimat" sprechen und den Begriff im folgenden aussparen. In aller Kürze etwas zur historischen Entwicklung:2 Um 1840 herum hat noch kaum jemand von Heimat im heutigen Sinn gesprochen. Heimat bezeichnete damals den Heimathof, und wer nicht zur besitzenden Schichte gehörte, der hatte folglich auch keine Heimat. Erst wohlhabende Bürger verliehen im Lauf des 19. Jahrhunderts dem Begriff "Heimat" jene Sentimentalität, die ihm auch heute noch innewohnt. Heimat wurde zum rückwärtsgewandten Begriff von dem, was einem fehlte. Die Heimatbewegung, die um 1890 entstand, mit ihrer antimodernistischen Haltung und der Überhöhung des bäuerlichen Lebens, das ideologisiert wurde, machte "Heimat" zu einem spezifisch ländlichen Begriff. Zur Heimatbewegung zählte auch die Verachtung des Internationalismus und der Arbeiterbewegung. Mit dem ersten Weltkrieg gesellte sich eine starke deutschnationale Komponente dazu, die während der NS-Zeit noch verstärkt wurde. Schließlich, in der Nachkriegszeit, wurde und wird Heimat kommerzialisiert und immer mehr zur Kulisse. Angesichts solcher Belastungen ziehe ich es vor, auf den Begriff in diesem Zusammenhang zu verzichten. Ein Problem?Daß Regionale Identität in aller Munde ist, ist ein Zeichen dafür, daß sie zum Problem geworden ist. Der inflationäre Gebrauch der Vokabel "Identität" allein ist ja schon als Verlustanzeige zu werten.3 Sind wir also im Begriff, regionale Identität zu verlieren oder haben wir schon keine mehr? Wissen wir, worüber wir sprechen wenn wir von regionaler Identität sprechen und sprechen wir über dasselbe? Bei einem so schillernden Begriff ist es nützlich, bestimmte Vorausscheidungen zu treffen. Wir sprechen nicht in erster Linie über persönliche Identität (weder als gesellschaftliche Gegebenheit noch als subjektives Problem), sondern über einen Teilbereich der sogenannten kollektiven Identität. Eine Gruppe von Menschen fühlt sich aus bestimmten Gründen zusammengehörig. Unser Teilbereich heißt regionale Identität. Nichtsdestotrotz werden wir des besseren Verständnisses halber auf einer einfacheren Stufe beginnen, nämlich mit der persönlichen Identität. Davor ist es ratsam, sich vor Augen zu führen, daß die Diskussion um persönliche Identität überhaupt eine sehr junge Sache ist. Erst in der modernen industriellen und postindustriellen Gesellschaft wird innerhalb bestimmter Schichten persönliche Identität zu einem Problem, über das man nachdenkt, ja mehr noch, das Übersichselbstnachdenken wird sogar für bestimmte Schichten der Bevölkerung (was gemeinhin Mittelschichte genannt wird) zu einer Art Verpflichtung, fast ein Oktroy. Wir sollten dabei aber nie vergessen, daß auch heute weite Kreise der Bevölkerung dringende praktische Lebensprobleme zu bewältigen haben und über sich selbst nicht nachdenken können. In der Vergangenheit war dieses Verhältnis noch viel krasser: Nur ausgewählte Repräsentanten einer ganz dünnen Oberschichte waren sozusagen zur Reflexion beurlaubt. Ein solches Verhältnis galt auch für die alten Hochkulturen. In archaischen Gesellschaften war ein solches Nachdenken über persönliche Identität überhaupt undenkbar.4 Durch die Folgen der Globalisierung könnten wir unter Umständen wieder in einen solchen Zustand zurückkehren. Wenn nämlich wahr werden sollte, was uns prophezeit wird, dann wird nur noch ein Fünftel der Gesellschaft regelmäßige Arbeit haben und die übrigen vier Fünftel werden ein Leben mehr oder weniger außerhalb der gewohnten Kategorien führen. Schopenhauers Antwort auf die Frage nach persönlicher Identität
lautete, daß die Unterschiede in den Schicksalen der Menschen auf drei Grundbestimmungen
zurückzuführen seien: Er behauptet, daß was einer ist (seine Identität) von dem verdeckt und entstellt wird, was einer vorstellt, und was einer ist, ist von dem, was er vorstellt, durch einen großen Abstand unterschieden. Wer diesen Abstand vergißt und sich durch das definiert, was er vorstellt, verliert sich selbst. Das ist eine sehr traditionsreiche Meinung, die in der Philosophie lange überlebte. Und das Identitätsproblem war ja lange in der Philosophie heimisch.5 Bis Sozialpsychologen und Soziologen wie Eric Erikson und George Herbert Mead diesen Zusammenhang in Frage und die Behauptung aufstellten: Jemand ist, was er ist, indem er wird, was er gesellschaftlich anerkannt vorstellt. Das bedeutet einerseits, daß der Abstand von Wesen und Schein in Frage gestellt, ja verabschiedet wird. Die Schule der symbolischen Interaktionisten also behauptet, daß einer nicht unabhängig von anderen sein kann, was er ist, sondern daß er es immer nur in Wechselwirkung mit den anderen wird, indem er sich in den anderen spiegelt. Was sich solcherart herausbildet, das ist Identität. Diese Art der Identität wird immer in Bezug auf bestimmte Referenzgruppen gebildet, und deshalb gibt es auch mehrere Identitäten: Das Umfeld eines Kleinkindes unterscheidet sich von dem eines Erwachsenen etc. Das bedeutet andererseits, daß Identität nicht als etwas Statisches angesehen wird, sondern als Prozeß, als Balanceakt zwischen persönlicher und sozialer Identität. Ausbalanciert werden Fremderwartungen, deren Erfüllung der Person Anerkennung bei den Begzugspersonen sichert, und Selbsterwartungen, deren Erfüllung Selbstachtung gewährt. Schwieriger BegriffDen Sozialwissenschaften gilt die Identität als schwieriger Begriff, da er nicht leicht zu operationalisieren, meßbar zu machen ist. In der Tat sind nur einzelne Teilbereiche empirisch meßbar. Darüber hinaus ist es ein werthaltiger, vager und oft auch mehrdeutiger Begriff, der noch dazu realdefiniert wird. Das alles macht ihn für die Sozialwissenschaften zu einem ziemlich unbrauchbaren Begriff.6 Nichtsdestotrotz ist die Formulierung Hermann Bausingers verständlich, wenn er sagt: "Identität ist, auf den Einzelnen bezogen, der Zustand, in dem er seiner selbst gewiß ist, in dem er gelebtes Leben Vergangenheit tätig an die Zukunft knüpfen vermag, in dem er von den andern, von der Bezugsgruppe oder den Bezugsgruppen voll akzeptiert ist."7 Bei schwierigen Begriffen lohnt es oft, ihr Gegenteil zu betrachten, um schärfere Konturen zu erhalten. Wenn die erwähnte Balance also nicht funktioniert, dann können pathologische Erscheinungen die Folge sein. Die Identitätsdiffusion kann aus Überforderung enstehen und führt zur Auflösung bzw. Zersplitterung von Identität. Verursacht wird sie durch widersprüchliche Rollenansprüche und Lebensziele. Wenn die Ausbildung einer positiven Identität mißlingt und die Aufsplitterung vermieden werden soll, kann es zur Annahme einer negativen Identität kommen. Dabei identifiziert sich der oder die Betreffende mit negativen Vorbildern. Die schlimmste Konsequenz, die einem menschlichen Individuum droht, ist der Verlust des Selbstbildes, des Wissens, wer man ist und wohin man gehört.8 Ein Spezialfall aus dem Bereich der kulturellen Identität (die ein Teilbereich der sozialen Identität ist) ist jener der Anomie: Wächst ein zweisprachig Erzogener in einer Umwelt auf, die der Zweisprachigkeit gegenüber negativ eingestellt ist und in der die Zweisprachigkeit gegen die Einsprachigkeit ausgespielt wird, gibt es die Möglichkeit, daß diese Person eine Anomie entwickelt: Sie fühlt sich gegenüber der Gesellschaft entfremdet und isoliert, akzeptiert deren Werte nicht, ist weniger flexibel zieht sich apathisch zurück und verweigert ethnische Kategorien, bestreitet vielleicht sogar die Existenz eines Unterschieds zwischen beiden Kulturen.9 Im Gegensatz zur persönlichen Identität, wo einer Person von anderen Personen Merkmale zugeschrieben werden, werden im Fall der kollektiven Identität einer Gruppe Merkmale zugeschrieben. Von wem? Nun, entweder von Angehörigen dieser Gruppe die meist zu einer Elite gehören oder von Außenstehenden. Es ist eben ein Unterschied, ob man sagt "wir Oststeirer" oder "die Oststeirer". Davon handelt regionale Identität: den Oststeirern werden bestimmte Merkmale zugeschrieben, und diese Oststeirer bilden in diesem Fall eine Gruppe. Insofern die Oststeiermark eine Region ist, können wir hier von regionaler Identität sprechen. Die Gruppe der Oststeirer grenzt sich von andere Gruppen ab, indem sie diese abwertet und sich im Unterschied dazu aufwertet. Obwohl sich also regionale Identität auf einen Raum bezieht, geht sie darin nicht auf. Regionen wurden und werden eben immer von Menschen aus bestimmten Interessen heraus gemacht.10 Identitätsstiftende Merkmale in größeren Gruppen wie zum Beispiel Ländern sind auch Erinnerungen an Siege, was ja im Fall der Oststeiermark etwas schwieriger ist. Für den Raum Radkersburg können zum Beispiel folgende identitätsstiftende Ereignisse herangezogen werden. Es gibt in diesem Raum eine schon traditionelle "Feindschaft"zu den Mureckern, die als in einem Konkurrenzverhältnis stehend wahrgenommen werden. Noch heute wird über die Verteilung von Behörden und Schulen etwa gestritten. Ein anderes Beispiel wäre der Abwehrkampf vom 4.2.1919, in dessen Verlauf sich Radkersburger Bauern gegen die Besetzung durch den damaligen Staat der Südslawen erhoben, und der damals eigentlich nicht von Erfolg gekrönt war, wohl aber extrem identitätsbildend und abgrenzend wirkte. Auch der Kampf gegen die Türken im Radkersburger Raum wird rückblickend von der Geschichtsschreibung als von eminenter Bedeutung für die Bildung eines Gruppenbewußtseins betrachtet. Auf Abwehr ausgerichtet war auch der Begriff Grenzland, der ja nicht nur die Tatsache bedeutete, daß jemand im Grenzland lebte, sondern auf die Herausbildung eines Grenzlandbewußtseins abzielte. Hier kommt der Aspekt des Auserwähltseins dazu, nämlich dazu auserwählt zu sein, am Vorposten zu stehen und zur "Rettung des Abendlandes" beitragen zu können. An diesen Beispielen wird die Funktion von kleinen Regionen, von Lokalgesellschaften deutlich. In ihnen manifestiert sich der Wille zur Selbstabgrenzung und die Fähigkeit zur Mobilisierung der Mitglieder zur Verteidigung von kollektiven Interessen gegenüber Nachbargruppen. Je zentralere Werte eine Gruppe gefährdet sind, desto stärker wird die soziale Kohäsion. Diese gehört neben den häufigen Binnenkontakten und der territorialen Selbstabgrenzung zu den wesentlichen Merkmalen von Lokalgesellschaften oder Kleinregionen.11 Natürlich spielen auch Verwaltungseinheiten eine Rolle, doch ohne Mitwirkung der Betroffenen bilden sich keine Regionen.12 Individuum und KollektivParallel zur persönlichen Identität gibt es natürlich auch für kollektive Identitäten Krisenzustände. Mancherorts wird behauptet, daß sozialer Wandel oder seine Geschwindigkeit automatisch zu Identitätskrisen führe. Dem ist entgegenzusetzen, daß es immer und überall, auch auf dem Land sozialen Wandel gegeben hat. Vieles spricht dafür, daß sozialer Wandel nur dann zu Identitätskrisen führt, wenn diese Balance zwischen persönlicher und sozialer Identität nachhaltig gestört ist. Die Auflösung des ganzen Hauses war zum Beispiel so eine einschneidende Veränderung im Leben der Oststeirer, die zu gravierenden Veränderungen im Alltagsleben führte. Dementsprechend heftig waren auch die Reaktionen der betroffenen Bauern. Im sogenannten Vorauer Bauernrummel machten die Bauern 1931/32 ihrem Zorn Luft.13 Da regionale Identität insofern mit dem ländlichen Raum zu tun hat,
als die Bauern die Hauptträger regionalen Bewußtseins sind, spielt die bäuerliche
Bevölkerung in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle. Wie andere Berufe auch befinden
sich die Bauern heute in einer Identitätskrise. Der Nährstand von einst, der für das
Überleben der übrigen Bevölkerung sorgte, wird fast überflüssig und verhält sich
noch dazu umweltschädigend. Als Indizien für eine solche Identitätskrise gelten der Im vorhergehenden ist der Begriff "Region" schon relativ selbstverständlich eingeführt worden. Da er der "Identität" was Vagheit und Mehrdeutigkeit angeht in nichts nachsteht, sind auch hier Begriffsbestimmungen angebracht. Eine Region ist eine nach bestimmten Kriterien homogen abgrenzbare räumliche Einheit. Region kann ein kleiner Raum wie Gleisdorf ebenso sein wie internationale Zusammenschlüsse von Staaten. Regionen können nach zielbezogenen Kriterien (nach zentralen Orten) oder historisch (nach sprachliche-kulturellen Gemeinsamkeiten) definiert werden. Im Zuge der Übernahme der EU-Nomenklatur werden als NUTS III-Region nun
Radkersburg, Feldbach, Fürstenfeld, Hartberg und Weiz zur Oststeiermark zusammengefaßt.
Davor befand sich z.B. Radkersburg im Ost-Grenzgebiet, das durch folgenden Mängelkatalog
definiert wurde:15 Durch einen Mängelkatolog allein wird sich wohl regionales Bewußtsein nicht bilden können, müßte man meinen. Außerdem fällt auf, daß sich seit dieser Klassifikation an der tatsächlichen Situation nur wenig geändert hat, wiewohl nun fast zwanzig Jahre dazwischen liegen. Manche meinen, daß es der Schulabschluß ist, der darüber bestimmt, wer am meisten Regionalbewußtsein hat: Wer nur die Pflichtschule absolviert habe, würde sich eher an die Region gebunden fühlen als wer eine weiterführende Schule besucht, und derart seinen Horizont erweitert, wie man sagt. Bei wem Wohn- und Arbeitsplatz zusammenfallen und wer gering qualifiziert ist, der soll ein höheres Regionalbewußtsein entwickeln als Menschen mit hoher Qualifikation und Mehrfachwohnsitzen.16 Das Landesbewußtsein jedenfalls ist in Österreich dort am höchsten, wo auch die höchsten Arbeitslosenzahlen zu finden sind, nämlich im Burgenland in Kärnten und in der Steiermark. Dabei weisen Menschen mit einem höheren Bildungs- und Berufsqualifikation ein deutlich geringeres Landesbewußtsein auf.17 Durch die Zuwanderung agrarferner Bevölkerungsschichten in letzter Zeit dürften sich diese Verhältnisse im ländlichen Raum insofern verändert haben, als nun auch höher Qualifizierte für ein ausgeprägtes Regionalbewußtsein in Frage kommen. Genaue empirische Daten dafür fehlen noch. Peripherie und ZentrumIn Österreich ist in der Regel im Landesbewußtsein das Regional- und Lokalbewußtsein gegen das mächtige Wien vereint. Diese traditionell starke Stellung der Bundesländer ist ein Resultat der besonderen historischen Entwicklung.18 Da die Steiermark ja zu den ältesten Bundesländern zählt, war in ihrem Fall der Prozeß der Landwerdung schon früh, nämlich 1180 mit der Verleihung der Herzogswürde an die Markgrafen abgeschlossen. Auf ganz Österreich bezogen, fand dieser Prozeß zwischen dem 12. und dem 16. Jahrhundert statt. Später erweiterte sich die Kriegerkaste um die Stadtbürger und die Geistlichen, die nun die Stände bildeten, die eigentlich die Länder ausmachten. Zum Land "gehörten" in diesem Sinn nur die Stände, nicht aber die Masse der Bevölkerung. Demgegenüber sind Staaten weit größere Gebilde, und im heutigen Österreich setzte dieser Prozeß 1192 mit der Herrschaft der Babenberger über Österreich und Steier und mit den Habsburgern und ihren Erwerbungen von Kärnten und Krain (1335) Tirol 1363, Ungarn und Böhmen (1526) ein. Im Zuge dieser Erweiterung des Reiches zeichneten sich die Umrisse eines Großstaates auf, in dem andere Mechanismen entwickelt werden als im Land. Mit Hilfe dieser Mechanismen wurden immer mehr Menschen mit einem Zugehörigkeitsbewußtsein zum Staat ausgestattet. Nach und nach wurde das gesamte Reich von diesen Penetrationsprozessen durchdrungen. Erst zu diesem Zeitpunkt bekommt die Dichotomie von Zentrum und Provinz ihre Bedeutung. Mit der Staatswerdung gewinnt das Zentrum als der Sitz des Hofes immer größere Bedeutung und bindet immer mehr Menschen an sich. Das Zentrum ist meist auch jener Ort, an dem sich das Nationalbewußtsein orientiert, während die Bewohner der Provinz an den älteren Einheiten, den Ländern hängen. Sehr oft wurden Provinzen auch erst gewaltsam zum Staat bekehrt. Die österreichischen Besonderheiten bestehen darin, Als Ergebnis dieser spezifischen Entwicklung besteht ein großer Unterschied zwischen dem Nationalbewußtsein der deutschsprachigen Österreicher in Wien und in der Provinz. Der politische Deutschnationalismus der Provinz war antiklerikal, anitsemitisch und antislawisch, während sich die vergleichbare Protestbewegung Wiens in Richtung der Christlichsozialen entwickelte. RegionalismusIm Zusammenhang mit dem Schlagwort "Regionale Identität" wird oft auch der Begriff "Regionalismus" genannt. Ursprünglich (das heißt in den sechziger Jahren) wurde mit Regionalismus eine übernationale Zusammenarbeit in Bündnissystemen bezeichnet. Im Lauf der Zeit wurden damit aber auch Bewegungen innerhalb von Nationalstaaten beschrieben, die sich auf ein bestimmtes Territorium eines zentralistischen Nationalstaates beziehen und für dieses politische Dezentralisierung, Föderalisierung, Autonomie bis hin zur Unabhängigkeit fordern.19 Als Länder, die vom Regionalismus betroffen sind, werden Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Norwegen, Schweden, die Schweiz und Spanien genannt. "Die eingesetzten Mittel reichen von parlamentarischer Mitarbeit über Demonstrationen, zivilen Ungehorsam bis hin zu terroristischer Gewalt."20 Die Intensität dieser Bewegung nahm in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre ab, um zu Beginn der neunziger Jahre im Zuge der Auflösung der ehemaligen politischen Blöcke wieder aufzuleben. Während sich das in den Ländern Ost-Mitteleuropas teilweise als Nationalstaatsbildung vollzieht, reagiert der westeuropäische Regionalismus auf Prozesse der Globalisierung. Österreich ist davon in dem Sinn betroffen, als sich hier als Reaktion auf die Politik der EU ebenfalls Regionen zusammenschließen, um zum Beispiel in den Genuß von Förderungen zu kommen. Von einer Regionalismus-Bewegung im obigen Sinn kann jedoch im Fall von Österreich nicht gesprochen werden. Wahrscheinlich muß der Regionalismus-Begriff um diese Bedeutung erweitert werden. Es gibt einige Interpretationsansätze zur Erklärung des Regionalismus, wenn auch nicht so etwas wie eine Theorie der Regionen. Diese Interpretationsansätze reichen vom Kampf unterdrückter Volksgruppen um gesellschaftliche Rechte bis zur Beschreibung als Ausdruck von Integrationsdefiziten in den Nationalstaaten, als interner Kolonialismus wegen ungleich ablaufender Entwicklungsprozesse bis hin zur Suche nach "Heimat" und überschaubaren Lebenszusammenhängen.21 Handeln im Zeitalter der TelekommunikationDen Regionalismus begünstigende Rahmenbedingungen sind sowohl die düsteren Aussichten für den Nationalstaat aufgrund der steigenden internationalen Verflechtungen in Politik und Wirtschaft als auch die zunehmenden Schwierigkeiten des Wohlfahrtsstaates. Für Österreich stellt die Regionalpolitik der EU einen bedeutenden Faktor dar, da sich hier im Kampf um Förderungen Wege der Zusammenarbeit einschleifen, die sich verstärken und schließlich stabilisieren könnten. Als widerständige Entwicklung kann die zunehmende Raumunabhängigkeit für politisches und soziales Handeln im Zeitalter der Telekommunikation genannt werden. Die Bodenhaftung geht mit den neuen Technologien zunehmend verloren. Allerdings ist mit dieser fehlenden Bodenhaftung auch eine ungeheuer große Chance verbunden, nämlich die, über die eigene "Provinz" hinauszusehen und andere "Provinzen" kennenzulernen. Damit würde viel "Provinzialität" im schlechten Sinn verloren gehen. Darüber hinaus verlieren die traditionellen Regionen Österreichs zunehmend ihre historische Identität. Die einst für die Oststeiermark (im alten Sinn, also bis zum Stradener Kogel reichend gemeint) bezeichnenden Strukturen verändern sich durch den Strukturwandel und durch Wanderungsbewegungen. War die Oststeiermark zum Beispiel einst durch eine große Zahl von Kleinbetrieben, durch einen hohen Anteil von landwirtschaftlich Beschäftigten und durch den Bifangbau gekennzeichnet, so ist das heute nicht mehr der Fall. Auch wenn es gelingen sollte, für die neue Oststeiermark so etwas wie Regionalbewußtsein zu schaffen, wird dieses anders aussehen als das historisch gewachsene. Dazu tragen zum Teil die Wanderungsbewegungen bei, durch die zunehmend agrarferne und nicht durch Generationen hindurch am gleichen Ort ansässige Bevölkerungsschichten in den ländlichen Raum ziehen. Diese teilweise auch urban orientierten Menschen bringen ihre Bedürfnisse (auch kultureller Art) mit und tragen insofern zu einer anderen Art von regionaler Identität bei. Andererseits orientiert sich auch die Wirtschaft zunehmend an der Region und inszeniert Regionalismus. Die Entwicklung von Regionalbewußtsein wird propagiert, um eine "regional corporate identity" zu schaffen. Das Regional Marketing wird also sicher auch zur Identitätsbildung beitragen. Eine andere Frage ist dabei allerdings, wie wünschenswert es ist, davon dominiert zu werden. Um schließlich die Eingangsfrage zu beantworten: Wir sind wohl im Begriff, regionale Identität zu verlieren, aber auch gleichzeitig dabei, uns eine neue zu schaffen. Eine Historische Kontinuität wird es dabei nur in geringem Ausmaß geben. Feedback: haberl@magnet.at |
||
Fußnoten:
1) Freie Übersetzung eines slowenisches Volksliedes: Kje so tiste
stezice, ki so vcasih bile? Zdaj pa raste grmovje in zelene trave. |
|||