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Kunsteingriffe


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v@n-Diskurs, im Kaminzimmer (im Erdgeschoß)
[17/98]

 

Von nachhaltigen Nadelstichen und den Schulen der Inhaltsentledigung

 

Von
Gerald
Raunig

"Daß Kunstwerke politisch eingreifen, ist zu bezweifeln."

Über den Zweifel Adornos, und über seine luzide Erkenntnis, daß Kunstwerke beides seien, nämlich autonom und fait social, kam die Kunsttheorie auch in den letzten dreißig Jahren nicht so richtig hinaus. Einander abwechselnde Wellen der Re- und Entpolitisierung wurden jeweils gegenseitig für gescheitert erklärt.
Orte der Gegenkultur wurden besetzt - und etablierten sich. Künstlerische Interventionen in lokale Umfelder waren äußerst erfolgreich - und fanden ihr Ende. Breite Koalitionen verschiedener Gruppen von AktivistInnen wurden begründet - und lösten sich wieder auf.
Das alles vermittelte im Lauf der Zeit das starre Bild vom völligen Scheitern des politischen Engagements in der Kunst. Allzuleicht wird dabei das individuelle "Schicksal" eines Projekts mit der Frage nach der prinzipiellen Sinnhaftigkeit oder Möglichkeit politischer Kulturarbeit vermischt. Scheitern impliziert jedoch nicht grundsätzlich die Aufgabe des Ideals, sondern vielmehr das Bewußtsein des Unerledigten, des Übergangs auch für die einzelnen Aktiven.
Der Topos vom Scheitern wird dort als Strategie in Anschlag gebracht, wo er dazu dient, die Pluralität der kulturellen Institutionen abzubauen. Das geschieht und geschah, wenn wie in den USA die staatliche Kunstförderung radikal eingeschränkt wurde und gerade kritische Institutionen davon betroffen waren und aufgeben mußten. Das geschieht in Deutschland, wenn die Krisen autonomer Kulturzentren wie die des Tacheles in Berlin oder des KOMM in Nürnberg durch geschicktes Zusammenspiel von Konzernen und Kommunen verstärkt werden. Das geschieht in Österreich, wenn KulturpolitikerInnen mit Schlagworten wie "Entpolitisierung der Kultur" gerade eben noch keine öffentliche Welle der Begeisterung auslösen.

Eindeutiger als das Kunstwerk zwischen Funktionslosigkeit und gesellschaftlicher Wirksamkeit stellt sich die Verantwortung des Künstlers und Intellektuellen als Bürger eines demokratischen Staates dar. Christoph Winder hat im Standard von 14.1. die geschmälerte Wirkung des (österreichischen) Intellektuellen vor der Folie von Emile Zolas "J’accuse" aufgezeigt. Sprachmächtige Menschen brauchte es zwar nicht zur Beförderung des sich ohnehin erstaunlich hartnäckig haltenden Geniekults oder zur moralischen Ermahnung der übrigen ÖsterreicherInnen. Die brauchte es, um fremde Blicke auf den einheitlich-unübersichtlichen Alltag zu werfen, wie es an den von Winder gebrachten Beispielen von Robert Menasses Klima-Schelte oder auch Peter Handkes Serbien-Rettung klar wird, die übrigens keineswegs nur in "peinlicher Erinnerung" ist. Und Österreichs KünstlerInnen halten sich eigentlich durchaus wacker, sie haben sich immerhin vom verbissenen Infight mit der extremen Rechten hin zu den - wesentlich fintenreicheren und angriffsflächenärmeren - Common-Sense-Konsis in der Regierung gewandt. Nach der jahrelangen - bisweilen zum Kulturkampf erhobenen - Schlammschlacht mit den Freiheitlichen hat sich so mit Wittmann-Bashing und Klima-Kelchen eine neue kulturpolitische Invektiven-Spielwiese gefunden.
Jedoch: Austria insula est. Was fehlt, ist der weite Blick über die Wässer. Österreichische Intellektuelle diskutieren gerade noch gerne - auch in Folge ihrer geschichtsunterrichteten Aufrüstung zu
AltösterreicherInnen - über Mitteleuropa oder die beängstigenden Auswirkungen der "Globalisierung". International relevante Diskurse wie etwa die Postkolonialismus-Debatten oder Fragen zur Hybridität von Kulturen werden mehrheitlich verschlafen. Nach wie vor ist das Nationale also nicht nur in den Erfolgen der österreichischen Skimannschaft daheim, sondern auch bei den Geistesmenschen, zumindest immer dann, wenn es nicht gleichzeitig durch lokales und transnationales Denken überwunden wird.
Was es also noch braucht - und da gebe ich Winder wieder recht -, ist "die stille, zähe Widerstandsarbeit im kleinen". Und die wird dann doch gerade nicht von den großen Namen geleistet, sondern passiert als Konfrontation einzelner Initiativen mit der lokalen Politik, als reale Kritik an der Ökonomie im Umfeld. Was mit der Anerkennung des kleinen Unterschieds, des leichten Zurechtrückens, der Derridaschen "differance" beginnt, das kann - man traut sichs kaum zu sagen - die Gesellschaft mittels Nadelstich verändern.

Jenseits der Grenzen der Kunstproduktion und deren ProtagonistInnen, an dem Ort, der sich landläufig Kulturbetrieb nennt, hat der Traum von der Überwindung der Elitarität der Kunst schon mehrmals zu ernüchtertem Erwachen geführt. 30 Jahre nach 1968 ist so vom Begriff "Kultur für alle" nichts mehr übrig, aber nicht etwa deswegen, weil die, gegen die die Revolution damals angetreten ist, ihren autoritären Kulturbegriff durchgesetzt hätten, sondern weil der weite Kulturbegriff von ORF-Intendant Lorenz ins Nichts zwischen "Treffpunkt Kultur" und "Seitenblicke" erweitert wurde.
Ähnliches geschieht mit der "Kunst im öffentlichen Raum", wenn sie dazu benutzt wird, Politik zu beschönigen. Hier hat sich die Bedeutung des Titels "Kunsteingriffe" flink ins Gegenteil verkehrt, Kunst wird als Behübschungsstrategie von nicht mehrheitsfähiger Politik eingesetzt. Und das meint nicht nur die Vereinnahmung von Kunst für das Image eines Staates oder einer Nation, sondern jene Kunst im öffentlichen Raum, wie sie z.B. am Wiener Gürtel fortsetzen soll, was fast in Sichtweite als plakativste Exemplarität der Behübschung prangt, Friedensreich Hundertwassers Affirmation einer Mühlverbrennungsanlage.

Die Entpolitisierung der Kunst ist also der Haupttrend, konkretisiert im wesentlichen durch zwei komplementäre "Schulen": Das eine ist die Lehre des reinen Kulturmanagement, keine Weiterentwicklung Kantscher Klugheit, sondern eher die naiv auf den Kulturbereich übertragene Variante dumpfer Deregulierung. Die Verwaltung von Kunst durch bedingungslose Dienerschaft am Schönen, d.h. an den Künstlergöttern und den SpektakelkonsumentInnen und an den - dieselben ins Abstrakte transzendierenden - Tabellen und Zahlen, ist eine neue Variante des binnen zweier Jahrhunderte zur Leerformel gewordenen Dogmas vom interesselosen Wohlgefallen. Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, daß die zur Unsichtbarkeit tendierenden "ausführenden Organe" keineswegs auch nur einen Moment ihres Lebens sich mit Inhalten beschäftigt haben, es sei denn mit den objektiven Inhalten der Betriebswirtschaft und des Corpus Iuris Civilis.
Die andere Variante der Inhaltsentledigung ist lauter und behilft sich mit gutmenschlichen Politparolen, ihre Irrtümer wurzeln in der Verwechslung von Moralismus und Moral. Wir finden sie in völlig verschiedenen Milieus: in der gemütlich gewordenen Praxis des Multikulturalismus, im dandyesken Pathos des Subversiven, Systemoppositionellen, in den Charity-Welten des nur mit äußerster Mühe aufrechterhaltenen weihe- und würdevollen Kulturkults.

Die Alternative liegt nach allem, was war, nicht im Pathos der einen großen Idee, sondern eher im kleinen, pluralistischen. Teil einer solchen pluralistischen Kultur sind nach wie vor die Kulturinitiativen, die nicht zuletzt wegen ihrer Erfahrung im Graubereich zwischen Ehrenamtlichkeit und Professionalität am Ende der Arbeitsgesellschaft fast zwangsläufig in den Vordergrund rücken. Dabei waren sie in den letzten Jahren einerseits von den beiden oben genannten "Schulen" bedroht und andererseits von einer Tendenz zur Abschottung von ähnlichen Segmenten der Gesellschaft. Das ergab sich aufgrund eines Professionalisierungs- und Etablierungsschubs am Ende der 80er und Anfang der 90er, der auch in die Einrichtung von eigenen Finanzierungsansätzen in etlichen Ländern und beim Bund mündete. Damit hat sich der Begriff nun ausdifferenziert und ist gleichzeitig für viele andere unbrauchbar geworden.
Ich plädiere dagegen für ein Verständnis des Begriffs Kulturinitiativen, das alle Teile des Kulturbetriebs meint, die sich initiativ und politisiert an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligen. Ich beziehe mich dabei auf einen Politikbegriff, der die Teilnahme an den Angelegenheiten des engeren und weiteren Umfelds meint. Politische Kulturarbeit heißt dann Kulturarbeit, die sich nicht nur mit der Reflexion ihrer selbst, sondern auch der gesellschaftlichen Bedingungen befaßt. Das betrifft neben dem Kernbereich der autonomen Kulturarbeit auch Medieninitiativen wie freie Radios, Zeitungsprojekte oder Initiativen im Bereich neuer Medien, das umfaßt scheinbar etablierte Kulturinstitutionen, die es geschafft haben, durch den Wandel ihrer Strukturen auch ihre inhaltliche Innovationsfreudigkeit zu halten, das erstreckt sich auch auf Kunstprojekte, die die soziale Funktion der Kunst thematisieren. Darüberhinaus bieten sich Koalitionen mit ökologischen, antirassistischen, feministischen u.ä. Initiativen an, mit allen Projekten, die sich andocken an konkrete politische Praxis. Vielleicht ist es dann wieder einmal Zeit, einen weiteren Wellenberg der Politisierung zu besteigen, im Bewußtsein, daß es ohnehin nur eine Zeitlang bergauf gehen kann ...

Feedback: ig.kultur@thing.at

 

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