Von
Gerald
Raunig
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"Daß Kunstwerke politisch eingreifen,
ist zu bezweifeln." Über den Zweifel Adornos,
und über seine luzide Erkenntnis, daß Kunstwerke beides seien, nämlich autonom und fait
social, kam die Kunsttheorie auch in den letzten dreißig Jahren nicht so richtig hinaus.
Einander abwechselnde Wellen der Re- und Entpolitisierung wurden jeweils gegenseitig für
gescheitert erklärt.
Orte der Gegenkultur wurden besetzt - und etablierten sich. Künstlerische Interventionen
in lokale Umfelder waren äußerst erfolgreich - und fanden ihr Ende. Breite Koalitionen
verschiedener Gruppen von AktivistInnen wurden begründet - und lösten sich wieder auf.
Das alles vermittelte im Lauf der Zeit das starre Bild vom völligen Scheitern des
politischen Engagements in der Kunst. Allzuleicht wird dabei das individuelle
"Schicksal" eines Projekts mit der Frage nach der prinzipiellen Sinnhaftigkeit
oder Möglichkeit politischer Kulturarbeit vermischt. Scheitern impliziert jedoch nicht
grundsätzlich die Aufgabe des Ideals, sondern vielmehr das Bewußtsein des Unerledigten,
des Übergangs auch für die einzelnen Aktiven.
Der Topos vom Scheitern wird dort als Strategie in Anschlag gebracht, wo er dazu dient,
die Pluralität der kulturellen Institutionen abzubauen. Das geschieht und geschah, wenn
wie in den USA die staatliche Kunstförderung radikal eingeschränkt wurde und gerade
kritische Institutionen davon betroffen waren und aufgeben mußten. Das geschieht in
Deutschland, wenn die Krisen autonomer Kulturzentren wie die des Tacheles in Berlin oder
des KOMM in Nürnberg durch geschicktes Zusammenspiel von Konzernen und Kommunen
verstärkt werden. Das geschieht in Österreich, wenn KulturpolitikerInnen mit
Schlagworten wie "Entpolitisierung der Kultur" gerade eben noch keine
öffentliche Welle der Begeisterung auslösen.
Eindeutiger als das Kunstwerk zwischen
Funktionslosigkeit und gesellschaftlicher Wirksamkeit stellt sich die Verantwortung des
Künstlers und Intellektuellen als Bürger eines demokratischen Staates dar. Christoph
Winder hat im Standard von 14.1. die geschmälerte Wirkung des (österreichischen)
Intellektuellen vor der Folie von Emile Zolas "Jaccuse" aufgezeigt.
Sprachmächtige Menschen brauchte es zwar nicht zur Beförderung des sich ohnehin
erstaunlich hartnäckig haltenden Geniekults oder zur moralischen Ermahnung der übrigen
ÖsterreicherInnen. Die brauchte es, um fremde Blicke auf den
einheitlich-unübersichtlichen Alltag zu werfen, wie es an den von Winder gebrachten
Beispielen von Robert Menasses Klima-Schelte oder auch Peter Handkes Serbien-Rettung klar
wird, die übrigens keineswegs nur in "peinlicher Erinnerung" ist. Und
Österreichs KünstlerInnen halten sich eigentlich durchaus wacker, sie haben sich
immerhin vom verbissenen Infight mit der extremen Rechten hin zu den - wesentlich
fintenreicheren und angriffsflächenärmeren - Common-Sense-Konsis in der Regierung
gewandt. Nach der jahrelangen - bisweilen zum Kulturkampf erhobenen - Schlammschlacht mit
den Freiheitlichen hat sich so mit Wittmann-Bashing und Klima-Kelchen eine neue
kulturpolitische Invektiven-Spielwiese gefunden.
Jedoch: Austria insula est. Was fehlt, ist der weite Blick über die Wässer.
Österreichische Intellektuelle diskutieren gerade noch gerne - auch in Folge ihrer
geschichtsunterrichteten Aufrüstung zu AltösterreicherInnen
- über Mitteleuropa oder die beängstigenden Auswirkungen der "Globalisierung".
International relevante Diskurse wie etwa die Postkolonialismus-Debatten oder Fragen zur
Hybridität von Kulturen werden mehrheitlich verschlafen. Nach wie vor ist das Nationale
also nicht nur in den Erfolgen der österreichischen Skimannschaft daheim, sondern auch
bei den Geistesmenschen, zumindest immer dann, wenn es nicht gleichzeitig durch lokales
und transnationales Denken überwunden wird.
Was es also noch braucht - und da gebe ich Winder wieder recht -, ist "die stille,
zähe Widerstandsarbeit im kleinen". Und die wird dann doch gerade nicht von den
großen Namen geleistet, sondern passiert als Konfrontation einzelner Initiativen mit der
lokalen Politik, als reale Kritik an der Ökonomie im Umfeld. Was mit der Anerkennung des
kleinen Unterschieds, des leichten Zurechtrückens, der Derridaschen
"differance" beginnt, das kann - man traut sichs kaum zu sagen - die
Gesellschaft mittels Nadelstich verändern.
Jenseits der Grenzen der Kunstproduktion und deren
ProtagonistInnen, an dem Ort, der sich landläufig Kulturbetrieb nennt, hat der Traum von
der Überwindung der Elitarität der Kunst schon mehrmals zu ernüchtertem Erwachen
geführt. 30 Jahre nach 1968 ist so vom Begriff "Kultur für alle" nichts mehr
übrig, aber nicht etwa deswegen, weil die, gegen die die Revolution damals angetreten
ist, ihren autoritären Kulturbegriff durchgesetzt hätten, sondern weil der weite
Kulturbegriff von ORF-Intendant Lorenz ins Nichts zwischen "Treffpunkt Kultur"
und "Seitenblicke" erweitert wurde.
Ähnliches geschieht mit der "Kunst im öffentlichen Raum", wenn sie dazu
benutzt wird, Politik zu beschönigen. Hier hat sich die Bedeutung des Titels
"Kunsteingriffe" flink ins Gegenteil verkehrt, Kunst wird als
Behübschungsstrategie von nicht mehrheitsfähiger Politik eingesetzt. Und das meint nicht
nur die Vereinnahmung von Kunst für das Image eines Staates oder einer Nation, sondern
jene Kunst im öffentlichen Raum, wie sie z.B. am Wiener Gürtel fortsetzen soll, was fast
in Sichtweite als plakativste Exemplarität der Behübschung prangt, Friedensreich
Hundertwassers Affirmation einer Mühlverbrennungsanlage.
Die Entpolitisierung der Kunst ist also der Haupttrend,
konkretisiert im wesentlichen durch zwei komplementäre "Schulen": Das eine ist
die Lehre des reinen Kulturmanagement, keine Weiterentwicklung Kantscher Klugheit, sondern
eher die naiv auf den Kulturbereich übertragene Variante dumpfer Deregulierung. Die
Verwaltung von Kunst durch bedingungslose Dienerschaft am Schönen, d.h. an den
Künstlergöttern und den SpektakelkonsumentInnen und an den - dieselben ins Abstrakte
transzendierenden - Tabellen und Zahlen, ist eine neue Variante des binnen zweier
Jahrhunderte zur Leerformel gewordenen Dogmas vom interesselosen Wohlgefallen. Wir haben
uns inzwischen daran gewöhnt, daß die zur Unsichtbarkeit tendierenden
"ausführenden Organe" keineswegs auch nur einen Moment ihres Lebens sich mit
Inhalten beschäftigt haben, es sei denn mit den objektiven Inhalten der
Betriebswirtschaft und des Corpus Iuris Civilis.
Die andere Variante der Inhaltsentledigung ist lauter und behilft sich mit gutmenschlichen
Politparolen, ihre Irrtümer wurzeln in der Verwechslung von Moralismus und Moral. Wir
finden sie in völlig verschiedenen Milieus: in der gemütlich gewordenen Praxis des
Multikulturalismus, im dandyesken Pathos des Subversiven, Systemoppositionellen, in den
Charity-Welten des nur mit äußerster Mühe aufrechterhaltenen weihe- und würdevollen
Kulturkults.
Die Alternative liegt nach allem, was war, nicht im
Pathos der einen großen Idee, sondern eher im kleinen, pluralistischen. Teil einer
solchen pluralistischen Kultur sind nach wie vor die Kulturinitiativen, die nicht zuletzt
wegen ihrer Erfahrung im Graubereich zwischen Ehrenamtlichkeit und Professionalität am
Ende der Arbeitsgesellschaft fast zwangsläufig in den Vordergrund rücken. Dabei waren
sie in den letzten Jahren einerseits von den beiden oben genannten "Schulen"
bedroht und andererseits von einer Tendenz zur Abschottung von ähnlichen Segmenten der
Gesellschaft. Das ergab sich aufgrund eines Professionalisierungs- und Etablierungsschubs
am Ende der 80er und Anfang der 90er, der auch in die Einrichtung von eigenen
Finanzierungsansätzen in etlichen Ländern und beim Bund mündete. Damit hat sich der
Begriff nun ausdifferenziert und ist gleichzeitig für viele andere unbrauchbar geworden.
Ich plädiere dagegen für ein Verständnis des Begriffs Kulturinitiativen, das alle Teile
des Kulturbetriebs meint, die sich initiativ und politisiert an der Gestaltung der
Gesellschaft beteiligen. Ich beziehe mich dabei auf einen Politikbegriff, der die
Teilnahme an den Angelegenheiten des engeren und weiteren Umfelds meint. Politische
Kulturarbeit heißt dann Kulturarbeit, die sich nicht nur mit der Reflexion ihrer selbst,
sondern auch der gesellschaftlichen Bedingungen befaßt. Das betrifft neben dem
Kernbereich der autonomen Kulturarbeit auch Medieninitiativen wie freie Radios,
Zeitungsprojekte oder Initiativen im Bereich neuer Medien, das umfaßt scheinbar
etablierte Kulturinstitutionen, die es geschafft haben, durch den Wandel ihrer Strukturen
auch ihre inhaltliche Innovationsfreudigkeit zu halten, das erstreckt sich auch auf
Kunstprojekte, die die soziale Funktion der Kunst thematisieren. Darüberhinaus bieten
sich Koalitionen mit ökologischen, antirassistischen, feministischen u.ä. Initiativen
an, mit allen Projekten, die sich andocken an konkrete politische Praxis. Vielleicht ist
es dann wieder einmal Zeit, einen weiteren Wellenberg der Politisierung zu besteigen, im
Bewußtsein, daß es ohnehin nur eine Zeitlang bergauf gehen kann ...
Feedback: ig.kultur@thing.at
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