Das
Tochterspiel
Die Kunst, Leiris, ist das Wechselspiel,
sind die Wechselfälle des Lebens.
In meinem Fall war ich fast ein
Tochterleben lang die Maus, mit der die Katze spielte. Einmal hielt sie in ihren Krallen
Leckereien aufgespießt und streckte mir die Samtpfote vor die Nase, ließ den Duft der
Köstlichkeit um mein Riechorgan streichen, machte ein harmloses Gesicht und lud zum Mahl.
Kaum näherte ich mich dieser stummen aber zwingenden Aufforderung und wollte gutgläubig
von den dargebotenen Speisen kosten, zog mein Peiniger die Krallen ein, die Käse- und
sonstigen Stückchen fielen zu Boden und mein ungläubiger Blick wurde mit einem Hieb aus
der gerade noch hingestreckten Pfote zerschnitten. Eine Tochter brauchte nicht klar zu
sehen, sie hatte zu gehorchen.
Ein andermal lag die Katze armselig in
sich zusammengerollt, erweckte den Anschein von Müdigkeit, enthoben jeder Kampfeslust,
ein träge vor sich hinschnurrendes Tier, Einsamkeit ausstrahlend und Mitleid
erregend zog sie mich in ihren Bann und alle Vorsicht vergessend schlich ich mich milde
gestimmt an sie heran, um ihr tröstend das stumpfe Fell zu lecken. Da fauchte sie mich
an, stellte ihre Haare auf und versetzte mir erneut mehrere Schläge, die mich vertrieben
und mich schwören ließen, nie mehr auf sie hereinzufallen, wohl wissend, dass es wieder
nur ein Meineid sein werde.
Ich verschloss die Ohren und folgte doch
jedem noch so leisen Ruf. An ein unsichtbares Gummiband gekettet, schnellte ich trotz oder
besser gesagt gerade wegen der bewusst herbeigeführten Vergrößerung des räumlichen
Abstandes umso heftiger zurück.
Ja, das Mauseleben war anstrengend, vor
allem, da ich es als Katze lebte, gefangen in einem Kleid, das man mir gleich nach der
Geburt verpasst hatte, eine aufgezwungene Maskerade, die der Katze das lebenslange Recht
auf ihr perfides Machtspiel mit einem harmlosen Nager sichern sollte.
Das graue Kleidchen wurde aber mit jedem
Jahr durchsichtiger und verschlissener und da und dort traten durch die brüchigen Stellen
Fellstückchen ans Tageslicht, deren vermehrtes Auftreten das grausame Spiel anfänglich
verstärkten, wollte doch die Katze diese Ungeheuerlichkeit beseitigen, indem sie
versuchte, die verräterischen Haarbüschel mit dem Maul auszureißen.
Wie gesagt, arbeitete die Zeit für mich
und ich selbst wetzte mir mit aller Kraft und Anstrengung die letzten grauen Korsettfetzen
vom Leibe, putzte und schleckte mein Fell und betrachtete mit Staunen meine Metamorphose.
Das also war ich. Eine Katze mit glänzendem Fell, flinken und verhaltenen Gesten und
Krallen, herrlichen Krallen, geschaffen für herrliche Spiele.
Lieber Leiris, trotz meiner Krallen, deren ich mir
mittlerweile gewiss bin (ich betrachte sie oft staunend des nächtens und feile sie
bisweilen rund), lebe ich ein Leben angesiedelt zwischen Katze und Maus, denn damit die
verkotete Wäsche nicht an mir hängen bleibt und ich den Rücken, der zur Maus mutierten
alten Katze, beim Eincremen nicht verletze, ziehe ich sie ein beim Tochterspiel, muss mich
also doch noch immer eher mit der Maus als mit der Katze vergleichen, wenn ich
mich schon darauf versteife, die Sache unter einem tragischen Gesichtspunkt zu sehen.
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