Von Seite zu Seite
Entwurfsmethoden eines Literaten
(Input #2 zum Compwood-Workshop)
Von Martin Krusche

Die bekannteste erste Regel lautet, daß es keine Regeln gibt. Wer in den kreativen Fächern etwas auf sich hält, wird zumindest gelegentlich und augenzwinkernd auf diese Generalregel verweisen. Dahinter dieser Position kann man meist herausfinden, daß Erfahrung, Konzentrationsvermögen, Arbeitszeit und Inspiration eine sehr nützliche Ausstattung des Werzeuggürtels sind. Egal auf welcher Baustelle man tätig ist. Was befähight einen zur künstlerischen Praxis? Woraus bezieht man schöpferiche Fähigkeiten und wie funktionieren sie?

Vom Autor Alfred Paul Schmidt erfuhr ich den ersten Glaubenssatz des "Steirischen Buddhismus": "Mir wurscht!" Im Klartext: "Das ist mir egal!"

Im Sinne dieses "Steirischen Buddhismus" folgende Denkaufgabe:

Warum schreiben Germanisten? Warum schreiben Germanisten nicht? Weil sie so viel über das Schreiben wissen.

Niemand zwingt uns, dem eigenen Wissen Körper, Gestalt, Wirkung nach außen zu geben. Aber es scheint etwas sehr Verlockendes zu sein. Ich hab jahrelang der Vorstellung angehangen, ich würde gerne Autor sein ohne schreiben zu müssen. Weil es doch eine Bürde ist. Das Schreiben. Das Entwerfen und Ausführen.

Von H.C. Artmann wissen wir, daß er glaubhaft machen konnte, er sei Dichter nicht durch sein Schreiben, sondern durch eine bestimmte Haltung, an der nichts fehlen würde, wenn er keinen Satz zu Papier brächte. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht: diese Haltung ist bei Artmann durch ein wuchtiges und beeindruckendes literarisches Gesamtwerk unterlegt.

Bleibt die zentrale Frage, die der legendäre Hans Moser im legendären Franz Antel-Film "Hallo Dienstmann!" an einer legendären Stelle formuliert: "Wie nemma ma eam?" Klartext: "Wie nehmen wir ihn denn?" Deutung: "Wie läßt es sich machen?"

Mir gelingt es so: für drei Seiten reicht Eros. Der verduftet auf der vierten Seite. Was nach der Begehrlichkeit bleibt, ist Job. Das bedeutet: im Enthusiasmus, ein Thema oder Motiv gefunden zu haben, imaginiere ich eine Geschichte. Oder einen Teil davon. Man könnt sagen: ich erinnere mich, wie es gewesen ist und schreib das auf. Das Begehren die Geschichte zu erzählen, ein erotischer Akt, treibt mich über eine gewisse Strecke, eine gewisse Zeit. das ist immer mühelos.

Meine Erfahrung hilft mir, daß die Geschichte in ihrer ersten Fassung eine konkrete Form annehmen kann – in meinem Fall eine sprachliche, vor allem aber textuelle. (Sprache und Text sind ja zweierlei.) Wenn Sie es selbst versuchen, werden sie feststellen, daß Sprache und Text genauso spröde, zuweilen schwierige Materialien sind, wie Holz, Metall oder Stein. Es können einem bei deren Bearbeitung natürlich jederzeit gute Stücke gelingen, ohne daß es einen allzu viel Schweiß und Sachkenntnis gekostet hätte. Leichtigkeit der Arbeit ist kein haltbares Argument gegen die Qualität eines Werkes. Aber bei größeren Arbeiten steigt der Aufwand an Mitteln in der Regel exponentiell.

Was dabei sinnvolle, zielführende und was reizvolle Abläufe sind, ist viel mehr der individuellen Vielfalt verpflichtet als einer allgemeinen Vernunft. Eingeführte Ablaufmuster sind wie die Partituren alter Symphonien. Anregend aber nicht zwingend. So viel zum Althergebrachten. Ich habe unlängst gehört, Tradition würde bedeuten, das Feuer weiterzureichen, nicht die Asche anzubeten.

Auf der andere Seite beeindruckt mich das Wort "neu" recht wenig. Denn zwischen den Krämpfen der Originalitätssucht und realer Innovation liegen doch oft ganz erhebliche Distanzen. Deshalb ist eines meiner Hauptthemen: interessante Lösungen. Das soll möglichst unaufgeregt klingen. Es soll eine Beziehung zwischen unterschiedlichen Anforderungen und Interessenslagen betonen.

Kontext. Die Aufmerksamkeit für Kontext halte ich für eine sehr produktive Eigenschaft. Sie kontrastiert offene Prozesse gegen monolithische Genieentwürfe. Das monolithische Genie ist doch sehr oft vor allem ein genialer Monolith. Also etwas Langweiliges, das herumsteht und einen langen Schatten wirft. Ginge es nicht meist um höhere Genauigkeit, könnte man mit sowas wenigstens die Zeit messen. Solange die Sonne scheint.

Von Seite zu Seite. Entwerfen. Das ist ein sehr schönes Bild, in dem Ruhe und Konzentration angedeutet sind. Und das Vergehen von Zeit. Mühe und vergehende Zeit. Muße und Lust. [...]

[Textauszug! Voltext hier als RTF-Datei downloadbar.]
[Siehe auch "Input #1"!]
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