"Waldbauernbuben
und große Kultur"
(Graz 2003, von 1999 aus gesehen.)
Von Martin KruscheIch saß
eben als Zaungast mit Kultur-Insidern aus den ersten steirischen Rängen an einem Tisch.
Da war eine ungesunde Zugluft von all dem heftigen Kopfschütteln der Profis aus Politik
und Verwaltung. Graz 2003. Zu viele Magistratsabteilungen, die sich nicht gerade
flüssig verständigen. Zu viele Gemeinderatsfraktionen, die auch noch jeweils in sich
divergierdende Vorstellungen einbringen. Und die Zeit rennt. Und wo soll all das Geld
herkommen? Wenn hier die Créme der Professionals so pessimistisch ist, was kann dann
unsereins, bescheidener Waldbauernbub aus der Oststeiermark, davon halten, daß Graz bis
Ende 2003 fast drei Milliarden Öschis bewegt haben will?
Zwei Milliarden gehen engeblich in Bauten und so, eine
dreiviertel Milliarde vermutlich ins Programm. Weiß hier irgendjemand, wie viel
Knödel das ist? Und worum geht es überhaupt? Wenn was so teuer ist, müßte man
ja brauchbare Infos kriegen können. Eingestöpselt, eingeloggt und auf den Steiermarkserver gekracht.
Nada! Nix! Ach ja! Graz. Fummel, such, blätter ...
ich probier www.graz.at
Bingo! Die Rathauskorrespondenz online. Schwampf!
"Stadt Graz liegt sehr gut mit den Vorbereitungen für die Kulturstadt Europas
2003"
Bravo! Bin begeistert!
"Bürgermeister Stingl unterstrich, daß er den
Mitgliedern der Landesregierung und des Landtages schon mehrmals angeboten habe,
ausführlich über den Stand der Vorarbeiten für 2003 zu informieren, davon aber bisher
nicht Gebrauch gemacht wurde." Schwafelschwafel!
Die üblichen Propaganda-Texte statt Information:
"Kulturstadtrat Dipl.-Ing. Helmut Strobl, der bei der Landtagssitzung anwesend
war, bestätigte, daß die Stadt Graz für das wahrscheinlich größte Projekt ihrer
Geschichte "bei ihren Hausaufgaben gut unterwegs ist."
Wie viel Platz kriege ich in der KUPF-Zeitung, um zu
belegen, daß bei so einem sauteuren Vorhaben irgendwie noch nix zu belegen ist?
Außer vielleicht der zentrale Glaubensgegenstand: Die Verantwortlichen arbeiten
daran. Und es wird viel, viel Geld kosten. Und eigentlich ginge das die Kulturschaffenden
von ganz Österreich was an. Aber wer redet mit denen? Wo sind die Fakten?
Hier eine private Initiative: www.graz2003.at
[Archivversion]... Ja, da war einer heller und schneller im Web als die Offiziellen. Und
hat, wie ich hörte, auch schon eine Klagsandrohung aus dem Bürgermeisterbüro erhalten.
Schwamm drüber. Immerhin gibt es dort das Papier des 2003-Intendanten Peter Lorenz: "Im
Namen der Windrose (Graz goes Europe - Europe goes Graz)"
Ilse Weber, Vorsitzende des Landeskulturbeirates, betonte
allerdings, Lorenz hätte ihr gesagt, sie sei offenbar die Einzige, die noch nicht bemerkt
habe, daß "Im Namen der Windrose" ein "milder Scherz" sei. Was
gilt nun? Lorenz meint: "Überprüfen wir an uns selbst, inwieweit wir die
bisherigen Kulturhauptstädte Europas wahrgenommen haben. Demoskopisch untersucht ergäbe
dies mit Sicherheit ein niederschmetterndes Ergebnis."
Hören wir Landeskulturreferenten Peter Schachner: "Mit
und ohne Kunsthaus kann sich Graz 2003 ohne das Joanneum [Landesmuseum, Anm.]
sicher nicht darstellen", glaubt Schachner. Genau das gehe ihm aber in den bisher
vorliegenden Konzepten des Programmchefs Wolfgang Lorenz ab. Und er könne sich auch nicht
vorstellen, daß man Graz "ohne Besonderheit" darstelle, wofür sich seiner
Ansicht nach "die Avantgarde" oder "die Altstadt" anböten. Jedenfalls
sei er aber willens, gemeinsam mit Lorenz diese Fragen zu klären. Grundsätzlich müsse
es aber auch möglich sein, daß das Land fehlende Programminhalte selber liefert:
"Denn wer zahlt, schafft an." (Kleine Zeitung vom 26.5.) Alles ein bißl
rückwärtsgewandt. Ist doch steirische Avantgarde auch was Gestriges.
Ich sollte Euch, liebe KUPF-Zeitungslesende, eigentlich
näher informieren. Geht nicht. Leider. Der eingangs erwähnte round table hatte am 19.
Mai stattgefunden. Da wußte unser oberster Kulturpolitiker kaum was genaues. Heute, exakt
drei Wochen später, ist nix klarer. Hat vielleicht der Grazer Kulturstadtrat Strobl was
Essenzielles rübergerückt? Nein. Hatternicht!
Ergo: Wenn wir es in der nächsten Dekade nicht schaffen,
die Leute zu bewegen, daß Politik und Verwaltung alle relevanten Fakten zeitig von
sich aus zur Verfügung stellen, wenn es uns nicht zu erreichen gelingt, daß bei
großen Projekten selbstverständlich Schnittstellen für die Mitwirkung lebender
Kunst- und Kulturschaffender installiert werden, kann mindestens meine Generation (die
50er-Jahrgänge) sich kulturpolitisch pensionieren lassen. Denn wir machen seit jeher
bloß mit Peanuts herum, während wir uns bei den dickeren Brocken papierln lassen.
Ich kämpf das grade exemplarisch rund um die steirische
Landesausstellung 2001 durch. Wer wissen will, wie das läuft, kann es in den xplus-Infos
nachlesen. [LINK]
Immerhin: Da sind ja auch meine eigenen Leute, die meist bloß jammern, anstatt
endlich mal langen Atem zu zeigen, die ihre Ansprüche wohlbegründet in den öffentlichen
Diskurs reinzuschieben und entsprechend nachzudrücken. Auch wenns Jahre bräuchte. In
diesen Fragen sitzt uns halt jeder kleine, mäßig inspirierte Funktionär locker aus.
[KUPF-Zeitung, Juli 99] |