"Offene Fragen"
(Zum Hintergrund der Graz2003-Kontroverse)
Von Martin Krusche
Definitionshoheit und territoriale Hoheit sind zwei Bereiche, die in jeder Gesellschaft
besonderes Augenmerk verdienen. Daß die Bedingungen dieser Bereiche ständig neu
verhandelt werden, halte ich für selbstverständlich. Es überrascht mich aber kaum, daß
etablierte Agenturen dazu gewöhnlich weniger Antrieb zeigen. Wir sind zu sehr mit jenen
Motiven unserer Kultur vertraut, nach denen persönlicher Aufstieg damit belohnt sein
will, an solchen Hoheiten teilzuhaben, statt sie zu verhandeln.
Durch kommunikationstechnische Innovationen
haben aber die laufenden Verhandlungen um Definitionsmacht und Souveränität im Raum neue
Konturen erhalten. Chipgesteuerte Simulationsmaschinen, in großen Systemen weltweit
vernetzt, führe dazu, daß wir Raumkonzepte und Regeln völlig neu klären müssen.
Wenigstens seit der Medienkonferenz in Linz (1999) kenne ich jenes Denkmodell, das zu
prüfen nahelegt, wie sich Markt, Staat und "Dritter Sektor" zueinander
verhalten. Es war ein Hauptthema dieser Konferenz. So schrieb Martin Wassermair in
"Korrekturen zur Kultur- und Medienpolitik" unter anderem:
"Ausschlaggebend ist dabei, auf sehr breiter Basis im Sinne der Konstitution
von Öffentlichkeit die programmatischen Grundzüge jenes dritten Sektors deutlich
aufzuzeigen, der sich durch die zunehmende Verschmelzung der Freien Szene immer deutlicher
formiert." [Quelle]
Ich habe bei dieser Konferenz selbst einen der vier Arbeitskreise geleitet. Zum Thema
"Kulturelle Kompetenz Medienkompetenz". [Link] In der Vorbereitung dieses
Arbeitskeises bin ich von folgender Annahme ausgegangen:
"Lagerbildung, Lagerabgrenzung, Lagerbindung. Selbstdefinition durch Feindmarkierung.
Wer meint, dies sei vor allem Vergangenheit, hat sich in unseren Reihen noch nicht
ausreichend umgesehen. Mir fällt zwar auch nichts anderes ein als "Wir und die
Anderen", ich würde aber die Konturen gerne unscharf lassen. Zukunftsträchtigere
"Wir-Konstruktionen" mögen sich gegenüber dem vorhin skizzierten
Verhaltenskanon eher auf Informationsfluß und Kommunikationsverhalten stützen.
Das geschieht dann vorzugsweise unter flexibler Nutzung von Medien; konventioneller ebenso
wie sogenannter "Neuer Medien" (Was vor allem binär codierte, vernetzte
Universalrechner und deren Peripherie meint.). Die "online-Welt" bietet
zumindest Anlässe, "andere Wir-Konstruktionen" zu erproben, Identitäten dabei
spielerisch zur Disposition zu stellen ... auszuloten, was dann geschieht. [Künstlerische
Praxis kennt solche Vorhaben allerdings schon lange ... ehe EDV-gestützte Systeme unseren
Alltag zur durchsetzen begannen.]" [Quelle (rtf-file)]
Mein damaliges Resümee ist im Beitrag "Auf der Höhe der Zeit (Die aktuelle
Sektor3-Kultur- und Medienszene)" formuliert. Unter anderem im Absatz
"Politik", wo es heißt:
"Markante, auch konstituierende Qualitäten dieses Dritten Sektors sind
(idealtypisch): Autonomie sich selbst die Regeln geben , Selbstorganisaton,
sowie kooperationsorientierte, selbsthilfeorientierte Verfahrensweisen, spezifisches
Kommunikationsverhalten etc. Der Dritte Sektor intendiert weder die kostengünstige
Übernahme von Staatsaufgaben, noch daß sich da ein kleiner "geschützter Markt im
Markt" entwickeln solle. Wir neigen dazu, eine sich landesweit konsolidierende Szene
autonomer Kultur- und Medieninitiativen als wesentlichen Kernbereich des Dritten Sektors
zu bezeichnen." [Quelle]
Nun war für mich nicht auf einer akademischen, sondern
praktischen Ebene zu prüfen und zu klären, was es mit den damals formulierten Annahmen
heute auf sich hat.
Es hieß zum Beispiel in der "Linzer Erklärung" von 1999: "Medienpolitik
ist Demokratiepolitik: Die österreichischen Kultur- und Medieninitiativen stellen
Öffentlichkeiten her, in denen sich Meinungsfreiheit und künstlerische Kreativität von
BürgerInnen realisieren können. Sie bilden in ihrer Gesamtheit einen eigenständigen
dritten Sektor, neben Markt und Staat. Seine Kennzeichen sind Gemeinnützigkeit,
Selbstbestimmung, Selbstorganisation und die Aneignung umfangreicher Kompetenzen." [Quelle]
Das heißt: in den Jahren 2000 und 2001 hatte ich
vielfältige Gründe zu klären, wo ich selbst aus solchen Ansprüchen heraus
stehe, was die damals erarbeiteten Annahmen taugen, wie Politik und Verwaltung dazu
stehen, welche Rolle(n) die Wirtschaft dabei spielen mag, wie sich "die Szene"
verhält und was sie leistet, was letztlich, etwas genauer beschreibbar, mein Bezugssystem
als Künstler in diesem Land ist. Grob gefaßt eben: wie sich Staat, Markt und Sektor 3
zueinander verhalten.
Selbstverständlich in diesen massiven Verwerfungen, wie
sie durch jene Veränderungsschübe entstanden, die mindestens in den 90ern allgemein
sichtbar wurden, als die sogenannten "Neuen Medien" sich auf Massenbasis
etabliert haben.
Im Vorhaben "Graz 2003, Kulturhauptstadt Europas" bot sich ein geradezu ideales
Ereignis an, diesen Fragen sehr konkret nachzugehen. Daß dabei für mich "das
Internet" ein primäres Terrain meiner Aktion sein würde, dürfte aus der
Vorgeschichte her einleuchten.
Besonderer Dank gebührt dabei meinem Partner Jürgen
Kapeller, der mir nicht nur mit all seiner inhaltlichen Kompetenz und seinen technischen
Ressourcen zur Seite stand. Er war auch bereit, mir einen Rahmen zu geben, der mir in
einem möglichen Rechtsstreit eine ruinöse finanzielle Last mit großer Sicherheit
ersparen würde. Als freier Autor bin ich nicht gerade gut gerüstet, mit mächtigen
Players vor Gericht zu ziehen. Wie relevant diese Annahme war, hat der Verlauf der Sache
gezeigt.
Die "heißestes Phase" dieser Geschichte war das
letzte Viertel des 2001er-Jahres. Eindeutig die aufschlußreichste Zeit. Mit Beginn der
online-Dokumentation am 10. Oktober 2001 hatte wir uns drei Monate als jenen Zeitraum
gesetzt, in dem zu klären sein sollte, welche Debatten öffentlich zu führen wären, wer
daran teilnehmen sollte, wo und wie sie zu führen seien. Dieser Zeitraum hat nun, am 10.
Jänner 2002 geendet und wir beginnen, den Prozeß auszuwerten.
[Zu meiner aktuellen Position siehe "Allianzen und Handlungsräume
(Kunst, Geld und Neue Medien)"] |