Kassiber #3: Hans Fraeulin

Kassiber #3

Von: "Hans Fraeulin" hans.fraeulin@styria.com
Betreff: Urhebergraz2003
Datum: Sonntag, 11. November 2001 13:49

Lieber Martin,

ich habe im Rahmen meines Volkswirtschaftsstudium Privat- und Handelsrecht, Öffentliches Recht und während meines Regiestudiums Urheber, Vertrags- und Verlagsrecht studiert, fühle mich also in gewisser Weise, auch ohne die einzelnen Paragrafen noch auswendig zu wissen, kompetent und bemüßigt, wenigstens einen Teil Deiner Fragen zu beantworten.

Die Idee, für eine bestimmte Zeit eine Gemeinde zur Kulturstadt oder Kulturhauptstadt in Europa zu ernennen, ist auf Beschlüsse der Europäischen Gemeinschaft zurückzuführen. Die EU besitzt gewissermaßen das Copyright. Niemand macht es ihr streitig. Nur sie ist lizenziert, Gemeinden zu Kulturhauptstädten zu ernennen. Um dieses Jahr mit Kulturereignissen voll zu stopfen, sind die ernannten Gemeinden aufgerufen, besondere Aktivitäten zu entfalten und Dinge zu fördern, die es bisher nicht gegeben hat. Darüber hinaus sollen diese Aktivitäten möglichst über das besondere Jahr hinaus wirken.

Als die EU Graz zur europäischen Kulturhauptstadt für 2003 ernannte, haben sich viele Zuständige und Interessierte Gedanken gemacht, Vorschläge erarbeitet und darüber diskutiert, vermehrt in den neuen Medien. Der Einfachheit halber sprach und schrieb man zum Thema mit dem Betreff: Graz 2003 mit allen möglichen Schreibvarianten. Es gibt beispielsweise eine grafische Raffinesse, etwa so: graz0003, die Ziffern quadratisch, und wird auf alle Briefe gestempelt. Wer Post aus Graz aufgibt, kann sich gegen diese Zwangsbeglückung gar nicht wehren.

Der erste, der sich "Graz 2003" registrieren ließ, und zwar als Plattform im Internet, war Dr. Jürgen Kapeller. Damit besitzt er nicht nur die Domain, quasi Firma und Firmensitz in einem im weltweiten Netz, sondern nachweislich das Urheberrecht auf diesen Begriff. Man braucht nur auf das Datum der Registrierung zu schauen. Die Vergabe dieser Domains erfolgt von der damit legitimierten Stelle (ICANN) gemäß dem besonders strengen amerikanischen Urheberrecht nur an denjenigen oder die Firma, die diesen Namen oder Begriff als erste anmeldet und sich damit als Urheberin manifestiert. Wer sonst auch immer im Jahre 2003 in Graz Kulturarbeit machen oder dort 2003 Millionen Würstchen verkaufen will, muss sich einen andere Bezeichnung für seine Domain einfallen lassen. Das wurde ja auch getan.

In Handelsregistern und Firmenbüchern wird als erstes darauf geachtet, dass es keine zweite Firma mit dem gleichen Namen gibt. Produkt- und Handelsnamen kann man sich registrieren lassen. Konstruktionen lässt man sich patentieren. In den USA gibt es eine Stelle, wo man sich Theater- und Filmtitel, Stories, Drafts und Konzepte urheberrechtlich sichern kann. Die Zentralregister für Bücher und Stücke sorgen dafür, dass kein Titel zweimal erscheinen kann. Die lückenlose Erfassung aller Musik, um ihren Urhebern und Urheberinnen das Verwertungsrecht zu sichern, hat erst kürzlich im Streit mit der Firma Napster eine eindrucksvolle Bewährungsprobe bestanden. Es gibt weltweit überall befugte Stellen, die bei Bedarf den Nachweis führen, der oder die erste und damit von was auch immer der Urheber oder die Urheberin gewesen zu sein. Erster gewesen zu sein, das zählt beim Urheberrecht.

Nur der Urheber, die Urheberin haben das Recht, den Titel samt Inhalt, die Marke oder die Firmenbezeichnung, auch Logos und Grafiken zu verwenden oder zu verwerten. Sein Urheberrecht wird man nicht los. Aber die Verwertung kann man steuern. Das Recht dazu kann man für immer oder auf Zeit verkaufen, gegen Entgelt überlassen, gegen etwas anderes tauschen oder verschenken, aus welchem Grund auch immer. Man kann dazu Verträge und Vereinbarungen schließen oder sich erpressen lassen. Letzteres ist sittenwidrig und strafbar. Aber wenn man nichts dagegen hat, wird kein Gericht den Erpresser verurteilen. Wer die Urheberschaft besitzt, ist allein berechtigt, gegen eine missbräuchliche oder vertragswidrige Verwertung vorzugehen und Rechtsmittel einzulegen.

Das Urheberrecht, dessen Registrierungen und Patentierungen sind überall in der Welt anerkannt mit Ausnahme in der VR China. Das dürfte bereits der Vergangenheit angehören, weil nun China in die Welthandelsorganisation aufgenommen wird. Dies ist nicht denkbar ohne die Anerkennung von Urheberschaften, Handelsmarken und Patenten.

Wer in Ländern mit einer bürgerlichen Rechtsordnung eine Firma gründet, hat es am Leichtesten, wenn sie seinen Namen trägt: Lorenz & Schrempf GmbH zum Beispiel. Das Recht am eigenen Namen ist sozusagen Ur-Urheberrecht. Wer aber Neckermann heißt und ein Reisebüro aufziehen will, muss sich etwas einfallen lassen. Wer einen Begriff oder eine Marke verwendet, muss nachweisen, dass man das Recht hat, diesen Namen zu verwenden, bzw. Urheber dieses Namens zu sein. Das gelingt leicht, wenn man damit bereits in der Öffentlichkeit aufgetreten ist oder ihn irgendwo schon registrieren ließ, zum Beispiel im Vereinsregister - und wenn es einem niemand streitig macht.

Mit der Erstregistrierung des Begriffs Graz 2003 hätte nach amerikanischem und internationalem Recht Dr. Kapeller die später gegründete Graz 2003 GmbH auf Unterlassung dieser Namensführung verklagen können. Er hat das wohl im guten Glauben, einem gemeinsamem Ziel zu dienen, nicht getan. Streng genommen hat er sich den Begriff mit den spezifischen Schreibweisen graz2003.com und graz2003.at sichern lassen. Hätte er gleich mit dem Hinweis auf diese internationale Registrierung für 2000 Schilling mit Dir, Martin, zum Beispiel eine Graz 2003 OEG gegründet, hätte nachher eine Graz 2003 GmbH wegen Irreführung der Geschäftswelt gar nicht gegründet werden dürfen, ohne Euch um Erlaubnis zu bitten.

Nun könnte die Graz 2003 GmbH anführen, sie handle im öffentlichen Auftrag, das europäische Kulturjahr auszurichten (und nicht 2003 Millionen Würstchen zu braten). Dann muss dies im Firmennamen erkennbar sein. Die Firma hätte Graz Kulturjahr 2003 GmbH oder ähnlich deutlich benannt werden müssen.

Im Wege der Registrierung der Domains im Internet ist es zu Missbräuchen gekommen. Mit dem Domain-Grabbing wird versucht, sich eingängige Begriffe, aber auch bereits existierende Firmennamen, Marken usw. registrieren zu lassen, um sie später den betroffenen Firmen, Institutionen usw. teuer zu verkaufen, wenn sie sich im Internet engagieren wollen. Hier funktioniert es jedoch wie oben beschrieben umgekehrt. Was woanders zu einem früheren Zeitpunkt in Firmenbüchern und Zentralregistern eingetragen ist, muss als Domain den Besitzern der Erstregistrierung kostenfrei überlassen werden.

Ein Missbrauch Dr. Kapellers mit den Domains in seinem Besitz kann ausgeschlossen werden. Auf allen wird von Beginn an ein reger Kulturdiskurs geführt, gegen den die Performance der Graz 2003 GmbH im Internet jämmerlich abstinkt.

Nach sorgfältiger Abwägung aller eingebrachten und erwogenen Rechtsgüter wird es Dr. Kapeller schwer haben, der Graz 2003 GmbH ihren Namen zu verbieten. Andererseits gilt: Die international erstregistrierten Domains, also Firmennamen, bzw. Firmensitze im weltweiten Netz zu führen, kann ihm niemand verbieten, auch ein österreichisches Gericht nicht. Gegen den Schaden, der ihm durch das Erwirken von Rechts- und Zwangsmitteln gegen ihn auf österreichischem Territorium erwachsen ist, kann Dr. Kapeller jedes Gericht anrufen. Die Graz 2003 GmbH sollte in ihren Bilanzen dafür Rückstellungen in Millionenhöhe einplanen. Nach eigener Erfahrung werden sie 2004 fällig – frühestens. Wenn der EuGH entscheiden muss, dauert es länger. Dann ist die Graz 2003 GmbH sehr wahrscheinlich aufgelöst und der Geschädigte schaut durch die Finger. Aber Dr. Kapeller kann nach meiner Auffassung bereits jetzt jedes amerikanische Gericht anrufen und gegen die Republik Österreich klagen, die Rechts- und Zwangsmittel gegen international gültiges Urheberrecht zulässt. Das sollte er bereits jetzt in die Wege leiten. Zum Ersatz seines Schadens bietet sich die Zwangsversteigerung des österreichischen Kulturinstituts in New York an. Bevor jetzt 2003 Würsteln zu lachen beginnen, sei darauf hingewiesen, dass es sich nicht viel anders verhält, als hätten Lorenz & Schrempf mit Hilfe der Organe der Kakanenrepublik Austria der Firma Coca-Cola verboten, ihre Limonade unter diesem Namen in Österreich zu verkaufen. [...]

[TEXTAUSZUG! Volltext hier als RTF-Datei downloadbar.]

[kontakt] [46•01] [corepage] [hans fraeulin]

home
maintained by [~] unlpugged