[flame] legenden

Lack

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Es hatte längst mit einem Stapel Papier begonnen, da war für den Stutzer noch kein angemessenes Auto in Sicht und erreichbar. Ein Stapel gebundenes Hochglanzpapier, dick wie ein Telefonbuch der Bundeshauptstadt. Und eine Bahnfahrkarte zur Hot-Rod-Show. Das genügte, damit der Stutzer am Haken hing.

Die längste Zeit stand ihm der Mund offen. Obwohl er sah, was zu sehen war, konnte er eigentlich nicht glauben, daß es solche Frauen gab. Nicht hier, nicht da, wo er zu Hause war. Außerdem erstaunte ihn, daß sie sich offenbar nicht fürchteten, denn sie waren doch ziemlich nackt und sie waren so wenige und so weit sein Auge reichte, waren nur Männer, Männer, Männer. Nervöse Männer. Schwitzende Männer. Männer in wachsender Unruhe über diese silikongehärteten Brüste, aggressiv schiebenden Hüften, Hemdchen und Bänder, Riemen und Lederfleckchen, Haarmähnen. Der Stutzer geriet dabei in einen Zustand von Aufregung und Verängstigung. Sein Verstand hat zuweilen nur das zu melden: Wie?! Wie kommt man an solche Frauen? Wie kommt man an solche Autos? Wie wird man so hart und böse, damit einem das niemand streitig macht? Wie kommt man an all das Geld, das dafür nötig sein dürfte? Natürlich kam er an etwas Geld und an etwas von einem aufgebügeltem Auto. Für den Anfang einmal 150 PS. Zitronengelb und grün, mit flammenden Übergängen ins Rot lackiert.

Das Mädchen, das schließlich mit ihm war, glich in nichts jenem Bild von Mädchen, hinter dem er mit diesem Auto her war. Er hatte überhaupt keine Ahnung, daß seine Vorstellung von Erotik, die er über seinen lackierten Kampfhund zu realisieren versuchte, mit Frauen, von denen er träumte, völlig unvereinbar blieb. Er ahnte nicht, daß man eine andere Erotik als die seine haben könnte. In diesem Sinne war er sehr unschuldig. Eine unschuldige Kanonenkugel. Ein fleischwarmes Geschoß. Ein vor Sehnsucht brennendes Waisenkind, das seinem lackierten Kampfhund den rechten Fuß in die Eingeweide stemmt, um dadurch andere Zustände zu erlangen. Ein Adrenalin-Junkie, der einen großen Stapel Geld mit völlig überhöhter Geschwindigkeit über die Bundesstraßen prügelte; in der Hoffnung auf eine lustvolle Entladung.

In den drei Monaten, die sie mit ihm nun unterwegs war, hatte sich ihre Angst um nichts gemindert, die verhaltene Panik, wenn er beschleunigte, ausscherte, anbremste, alles, alles einfach viel zu knapp, viel zu heftig ... nach ihrem Gefühl. Er spürte ihre Reaktion immer, roch sie sogar, liebte dieses Gefühl, weil er meinte, daß er sie auf diese Art berühren, beeindrucken, bewegen konnte. Daß er damit bloß für sich selbst eine Art Souveränität zelebrierte, die aufrecht blieb, solange der Wagen wie auf Schienen lief, daß er sie damit schlicht terrorisierte, konnte er nicht einmal denken. Er hatte keine Vorstellung davon. Er hatte keine Begriffe dafür.

Die Sache geht so: Es reißt dem Geschoß die Seitenwand weg, die blitzende Außenhaut. So liegt nun das Fleisch offen. Dank der regen Zubehörindustrie, danke des Schalensitzes und der Hosenträgergurten, gefertigt um einen Kampfpiloten bei Mach zwei Haltung bewahren zu lassen, dank dieser Ausrüstung also hält das Fleisch still und ist Sekunden später ein Fall für die Brandbekämpfung.

Der große Moment für einen Laienpolizisten und Ehrendoktor, für einen jener radikalen Aufsteiger, der im zweiten Bildungsweg den gleichen Zubehörkatalog geplündert hat wie der Stutzer. Bloß daß er sein Geld nicht in Polyesteranbauteile und härteres Fahrwerk investiert hat, sondern in CB-Funk, gelbes Blinklicht, Suchscheinwerfer, Werkzeugkasten, Erste Hilfe-Koffer und einen mächtigen Feuerlöscher. Straßenwacht aus Eigeninitiative, alles privat bezahlt, selten zuhause, da ist eine Frau mit zwei Kindern, er sieht sie wenig, die drei, zwischen Erwerbstätigkeit und Bürgerpflicht, läßt über Funk zwei Notrufe raus, stellt das gelbe Blinklicht an, bringt seinen Wagen in Position, hievt sich selbst aus dem Fahrersitz und aus dem Kofferraum den mächtigen Feuerlöscher. Wer je ein Auto brennen sah, weiß, wie viel Courage es verlangt, an sowas dranzugehen. Das braucht wahrhaftig einen mutigen Menschen.

Das Schneidewerkzeug trägt er am Gürtel, die Handschuhe sind widerstandsfähig. Zuerst einige chemische Stöße aus dem Löscher, dann ein schnelles Durchtrennen der Hosenträgergurte, ein rüder Griff in das mürbe Fleisch. Der Nothelfer zieht den Stutzer aus der Katastrophe, aus der heißen Giftküche aufflammender Kunststoffteile. Das wäre alles aussichtslos geblieben, wenn es nicht die Tür weggerissen hätte. Zeit und Courage des Helfers reichten gerade für den Stutzer. Seine Beifahrerin bleibt wo sie ist. Tief im Schalensitz.

Gutes Wetter, ein günstiges Schicksal und ein fixer Pilot verhalfen dem Stutzer in den Operationssaal, bevor das Leben aus ihm gewichen war. "Diesmal hat es aber den Richtigen erwischt", meinte der Pilot, als er unter der rauchenden Fackel die Reste und Teile der auffrisierten Schüssel erkannte. Im Klinikjargon hießen Tiefflieger wie der Stutzer lapidar "Trainingsmaterial". Die Anästhesisten fluchten meist, wenn einer davon übergewichtig und erkennbar starker Raucher war.

Die diensttuende Chirurgin hatte schnell Klarheit darüber, daß der Stutzer innen in wesentlich besserem Zustand zu sein schien als an der Körperoberfläche. Die gebrochene Schulter und die lädierte Hüfte warn geradezu unerheblich im Vergleich zu dem, was ihr und ihrem Team nun bevorstand: "Das verbrannte Fleisch muß herunter", sagte sie. "Wir müssen so weit rein, bis wir auf unversehrtes Gewebe stoßen. Aber ich weiß nicht, was wir nachher mit ihm machen sollen."

Es waren eigentlich zu viele Probleme auf einmal, die nun anstanden. Der gehäutete Körper würde von Infektionen überflutet werden, der Flüssigkeitsverlust war voraussichtlich kaum unter Kontrolle zu bringen und es schien fast aussichtslos, soviel Blut in jemanden reinzupumpen, wie aus einem derart offenen Körper wegsickerte. "Wir müßten ihn in eine Badewanne legen", murmelte die Chirurgin, während sie mit einer Art Hobel kraftvoll verbrannte Schichten abtrug. Sie war völlig ratlos, woher sie all das Abdeckmaterial nehmen sollte, um dem Stutzer wieder eine Haut über seinem Fleisch - dem, was verbleiben konnte -, zu ermöglichen.

Wie hart muß einer sein, um auf Jahre mit hohem Adrenalinspiegel seinem lackierten Kampfhund auf der Bundesstraße in die Eingeweide zu treten?

["Wir haben tapfere Herzen, Baby! Wir brennen leicht!"]

[26•2000]


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