19. November 2018 Franz
Kafka eröffnete seinen Roman "Der Process" mit dem Satz: "Jemand
musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er
eines Morgens verhaftet."
Ich war von Beginn an beeindruckt, wie lapidar dieser erste
Satz des Textes dasteht. Als hätte ein Felsbrocken eingeschlagen. Der könnte auch gut
allein so stehen bleiben. Es müßte zwingend nichts mehr folgen. Als junger Kerl wurde
ich das unangenehme Gefühl nimmer los, es sei müßig, einen Roman zu schreiben, wenn er
nicht jenes Gewicht habe, das im Zugang so einen Brückenkopf zeigt, einen mächtigen
Pfeiler.
Das schien mir nämlich schon früh klar, Romane seien
etwas wie Brücken. Man betritt sie, man verläßt sie, man macht dabei Erfahrungen. Wie
ernst ich diese Ahnungen nahm, können Sie daran ersehen, daß ich kein Romancier wurde
und jeden meiner wenigen Romane weggeworfen hab.
Das hat mir über etliche Jahre ein banges Gefühl
verursacht. Doch heute bin ich froh darüber, denn ich gehöre einer Generation an,
innerhalb derer auffallend viele steirische Leute völlig unerhebliche Romane publiziert
haben. Das ist weit unangenehmer, als meine vergebliche Ausschau nach einem tragfähigen
Pfeiler, von dem aus ich einen Roman über einen Abgrund spannen könnte.
Andres ausgedrückt, ich finde es weit nobler, ein
bedeutungsloser Autor zu sein, denn bedeutungslose Romane veröffentlicht zu haben. Und
denken Sie bitte nicht, das würde mich heute schwermütig machen. Ganz im Gegenteil. Ich
bin darüber vergnügt.
In Kapfenberg haben wir über Kloepfer gesprochen. Und
über Rosegger. Ich frage mich: Welchen Menschen haben sie gefallen wollen, welchen
Gemütern Freude bereitet, wenn sie so entsetzlichen rustikalen Kitsch verfaßt haben, wie
etwa folgende Passage aus Roseggers "Zither und Hackbrett":
Jo, der Obersteirer
In sein Hüttl drin;
Ohne Diandl liabn,
Ohne lustign Sinn:
Ohne Olmaluft,
Ohne Freiheit z'gspürn
Konn er gor nit, gor nit
Existirn !
Wer damals zu den subalternen Schichten gehört hat, Teil
des agrarischen Proletariats war, verschwindet einfach hinter diesem Sprühnebel an
Betulichkeit. Man kann heute noch mit alten, vormaligen Dienstboten reden oder einige
Aufzeichnungen dessen durchsehen, was wir als authentische Volksmusik gekennzeichnet
finden. Dann wird deutlich, daß sich Rosegger mit solchen Texten von all dem distanziert
hat, denn solche Pastoralchen bilden nicht ab, was das Leben der Leute gewesen ist. Es
idealisiert sie auch nicht. Es hat einfach nichts mit ihnen zu tun. Diese süßlichen
Verzerrungen. Egal!
»Nein«,
sagte der Geistliche, »man muß nicht alles für wahr halten, man muß es nur für
notwendig halten.«
Das war noch einmal Kafka im nämlichen Roman. Und K wie
Kapfenberg. Christian Hölbling (unten links) und Chri Pirker (unten rechts). Unsere
Reminiszenzen. Das Fraktionierte im Kulturbetrieb. Dieses neuerliche reüssieren von
Spießern und Mittelschicht-Trutschen. Klar, so reden wir nicht. Ich aber schon. In den
vorhergegangenen Einträgen habe ich hier ohnehin schon ein wenig von der ganzen
Trittbrettfahrerei erzählt, die sich manche gönnen, um im Kulturbetrieb sichtbar zu
werden.
Das hat so eine merkwürdige Mechanik, mit der man sich
selbst um produktive Momente herumdrückt und seine eigene Produktivität durch energische
Zurufe simuliert. (Statt Kritik zur Sache besser gleich Kritik zur Person.) Im Kontrast
dazu: Wenn etwa Hölbling bei seinen Publikum bestehen möchte, muß er vorab eine
erhebliche Leistung liefern, um vor die Leute hinzutreten und eine Erzählung entfalten zu
können, welche Menschen fesselt, wo sie ja auch dazwischenrufen oder sich abwenden,
weggehen könnten. Das sind die Agenda eines Kabarettisten.
In stilleren Momenten erzählte er mir von anderen
Begegnungen, wenn er sich etwa eine rote Nase ins Gesicht steckt und Kinder in einer
psychiatrischen Abteilung besucht. Das wird ihn auf kein Zeitungs-Cover und in keinerlei
Hitparade bringen. Das handelt von ganz anderen Zusammenhängen. Und Simulationen wären
da nicht nur sinnlos, sondern auch eine Zumutung. Worauf ich hinaus möchte?
Gegen diesen Modus "Sichtbarkeit geht vor
Authentizität" läßt sich derzeit offenbar nichts einwenden. Deshalb boomen ja
auch merkwürdige Aspekte der Social Media. Wer es momentan auf keine große
Bühne schafft, produziert sich eben auf einer kleinen, zum Beispiel auf dem schon
erwähnen Trittbrett. Genau! Das Trittbrett, die kleine, leicht erreichbare Bühne.
Ich kann das derzeit am Original so eines blinden
Passagiers anschaulich machen, weil mich seit einiger Zeit Post erreicht, die mir erstens
psychologische Befunde anbietet und mir zweitens dringend empfiehlt, meine Arbeit als
Autor einzustellen. Hier eine kleine Auswahl als Collage:
>>martin
krusches logbuch / Deine versteckten Anspielungen empören mich / Nein, du schweifst nicht
ab, sondern schreist was kultur ist. Wie anmassend!!! / Du forderst doch alle auf, dir zum
schreiben ... und schreibst , um gelesen zu werden - zudem noch im Web - da stimmt doch
was nicht. / Hoer sofort auf damit, sonst mache ich Dich zur schnecke ... / Sofort auf
hoeren - sonst Skandal - langer Armes!!!!! / Stop, Sofort!!!!! / Salut, Petit Hommes!<<
Das sind ganz vertraute Töne, auch wenn die Absender
wechseln. Im Jahr 2016 hatte sich jemand zuletzt so ausführlich zu einem Tänzchen
eingefunden und mich dabei auch mit Klagsdrohungen bedacht, was freilich recht hoch
gezielt war; siehe: [link]
Ich bin immer noch unschlüssig, wie sehr ich mich auf
solche Anwandlungen einlassen soll, wo jemand sich wie betrunken irgendeinem eigenen Ekel
hingibt und mich als die Wand braucht, gegen die das dann gespielt werden möchte. Aber
ich will es dann eben doch hier notiert sehen, denn es hat einen Kern, der davon handelt,
daß manche Menschen träumen, sie könnten jenen, die ihnen widersprechen, nachts ein
Rollkommando schicken, das sie wegschafft, abschafft.
Damit wäre ich wieder bei Kafka, der uns diesen
berührenden wie bedeutenden Romanauftakt hinterlassen hat: "Jemand musste Josef
K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens
verhaftet."
-- [Transition 2018] -- |