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«OLD DANUBE HOUSE» VON WALTER GROND
Reise in die Gegenwart der Vergangenheit
Seit «Absolut Grond» sind ein paar Jahre vergangen, schwierige Jahre.
Doch nun meldet sich der österreichische Autor Walter Grond mit einem neuen Roman
zurück: «Old Danube House».
BEAT MAZENAUER
Kuca Stary Dunav, Old Danube House: Altes Donau-Haus. An diesem Ort in
Sarajevo kristallisiert sich die Vision einer vergangenen Welt, als unter der
habsburgischen Krone eine Vielzahl von Völkern zusammenlebte. Scheinbar friedlich
scheinbar, denn in Sarajevo wurde bekanntlich der Erste Weltkrieg ausgelöst. Dieses
Symbol des Zusammenlebens hatte Grossvater Sahli als Reminiszenz an jene Stätte
aufgebaut, an dem er gezeugt wurde: die Alten Donau-Auen bei Wien. Während der Tito-Zeit
machte sein Sohn das Kuca Stary Dunav zu einer «Herberge für Christen, Moslems und
Kommunisten», einen Ort der Begegnung.
Inzwischen von serbischen Mörsergranaten zusammengebombt, wohnt bloss noch eine Tochter
in den Ruinen des alten Traums und versucht mit schamanischem Zauber die Wunden der
Zerstörung zu heilen. Der Sohn, Nikola Sahli, dagegen ist längst ausgewandert. Seine
kruden Theorien von Frieden und Freiheit brachten ihn bei den Kommunisten in Verdacht, so
dass nicht einmal der gute Ruf des Vaters, eines Partisanen-gefährten Titos, ihn zu
schützen vermochte. Im Westen begann er am vertrauten physikalischen Weltbild, das er
selbst lehrte, zu zweifeln und ihm entgegen eine alchemistisch anmutende Theorie zu
konstruieren. Wider alle Evidenz behauptet er das Vorhandensein einer frei schwebenden
Energie, die die «Schwindelgesetze» der Thermodynamik und des Elektromagnetismus
leugnen.
Um diese Theorie hat sich eine esoterische Gemeinde gebildet, die sich über die
Verschwörung der Welt gegen sie beklagt. Im Internet kommt der Wiener Quantenphysiker
Johan Nichol dem okkulten Heilsbringer Sahli auf die Spur. Dessen Freitod weckt sein
Interesse, so dass er nach ihm zu forschen beginnt. Nichol steht im Brennpunkt
divergierender Interessen: auf der einen Seite der gottesfürchtige Physikerkollege
Stadler, der ihn auf den rechten Weg führen möchte, auf der anderen der coole Assistent
Hofer, ein gewiefter Compi-Freak, dessen Selbstsicherheit ohne Keyboards und Bildschirme
indes schrumpft. In Moskau wohnt Katharina, die Nichol vor Jahren kennen lernte und mit
der er für eine mysteriöse «Space Frontier Foundation» nanotechnologische Forschung
betreiben möchte. Schliesslich liebt er die Kunsthistorikerin Marina, die
unübertrefflich ist in Fragen des Schönen unter Feng-Shui-Gesetzen.
Science-Fiction und Historie
Diese Konfiguration wird noch erweitert durch den schwer durchschaubaren Faruk
Karafani, einen bosnischen Theaterdramaturgen und Freund von Nikola Sahli. Er zeigt sich
Nichol auf der Suche behilflich. Von ihm angeregt, begibt dieser sich auch auf die Reise
nach Sarajevo, wo er Verwandte Sahlis zu treffen hofft. In der schäbigen bosnischen
Metropole, einst Symbol für multikulturelles Zusammenleben, zeigt die Gegenwart ihr
albtraumhaftes Gesicht.
Sarajevo ist der Brennpunkt völlig widerstrebender Welten. Einerseits das wirtschaftliche
Elend und die unausgestandenen Kriegstraumata, andererseits die Faszination der digitalen
Technologie, die subkulturell voll ausgelebt wird und geradezu visionäre Züge annimmt.
Science-Fiction und Historie schlagen unvermittelt aufeinander. Die Augen Amras, einer
Stiefschwester von Sahli, die Nichol zum Old Danube House führt, sprechen die Sprache
Sarajevos: «Ist egal.» Hoffnung und Wollen werden auf den kleinen Punkt des Jetzt
zusammengezurrt. Eine Zukunft gibt es hier nicht. Ist egal. Unter dem Ansturm dieser
Eindrücke wird die Faszination für Sahli verdrängt. Angesichts des vitalen Elends
verliert das Leben, das Nichol bisher gelebt hat, seine Bedeutung. Müsste es nicht anders
zu führen sein? Wesentlicher?
Walter Grond ist ein Sachverständiger in bosnischen Fragen: kundig geworden durch Reisen
und viele Freundschaften unter anderem mit dem bosnischen Autor Dzevad Karahasan, dessen
beeindruckender Sarajevo-Roman «Sara und Serafina» vor kurzem auf Deutsch erschienen
ist. Eine ei- gene Website: « house ein projekt über das fremde & die
peripherie» (www.kultur.at/house.htm) dokumentiert Gronds Interesse. Da drauf wird die
Auseinandersetzung mit dem Roman durch kritische Interventionen seiner Freunde und durch
Essays fortgeführt. house bildet so etwas wie den Subtext zum Buch, in welchem der
Erzählraum thematisch ausgeweitet wird. Mit Karahasans Roman lässt sich «Old Danube
House» nicht vergleichen. Dem entgegen gibt sich Grond unumwunden als Besucher aus der
europäischen Normalität zu erkennen, freilich als einer, der die bosnische Misere mit
wachen Sinnen wahrnimmt. «Unsere Arbeit ist es, uns nicht gegenseitig zu töten, dafür
werden wir ernährt von der internationalen Gemeinschaft», bringt er diese Misere mit dem
Wort eines Einheimischen auf den Punkt.
Eine virtuelle Stadt
Die Wege des sich zu Beginn anbahnenden Krimis verlassend, taucht sein Held für kurze
Zeit in die verwirrende bosnische Wirklichkeit ein, die sich mit eindeutigen Begriffen
nicht greifen lässt. Im zweiten Teil seines Romans findet Grond dafür eindrückliche,
fesselnde Bilder, die den etwas allzu geschönt wirkenden ersten Teil bei weitem
aufwiegen. Die Irritation gipfelt in einem Mega-Cyper-Rave, einem unwirklichen Symbol für
die Situation dieser Stadt.
Sarajevo ist gewissermassen eine virtuelle Stadt, nicht weil sie in einem Nirgendwo
angesiedelt wäre, sondern weil ihre Wirklichkeit unfassbar ist: unwirklich zwischen
analog und digital. Gewissermassen ein topografischer Avatar eine virtuelle
Erscheinung des tatsächlichen Sarajevo. Der Witz ist, dass Sahlis obskure Energie gerade
hier zu wirken scheint. Eine verborgene Energiequelle schafft in Sarajevo gleichsam aus
dem Nichts Leben. Wer von hier zurückkehrt, hat sich verwandelt.
Walter Grond: Old Danube House. Roman. Haymon, Innsbruck 2000. 284 S., Fr. 39.80.
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