Von: "berndt" Betreff: Von Berndt , Reisebericht Sarajevo Datum: Mittwoch, 03. April 2002 18:46 Dear Martin; Danke für Deine Rückmeldung und anbei ein Bericht über
die Konzerttour nach Sarajevo Das Berndt Luef Trio (mit Dusan und Thorsten) war für drei Konzerte im neuen Jazzclub "Jezz" nach Sarajevo eingeladen. Organisator der Konzertauftritte, die von Donnerstag bis Samstag stattfanden, war Edin Zubcevic, der auch das Jazzfest Sarajevo organisiert. Die Fahrt durch die Republika Srbska ist noch immer eine Fahrt durch "verbrannte Erde", da die zerschossenen und ausgebrannten Häuser der muslimischen und kroatischen Bevölkerung nicht wieder besiedelt worden sind bzw. werden konnten. Die ursprüngliche Bezeichnung "Bosanski" wurde durch "Srbski" ersetzt. So gibt es den Ort "Bosanski Brod" nicht mehr, er heißt jetzt "Srbski Brod" und gleicht einer Geisterstadt, da der Großteil der Stadt noch immer vollkommen zerstört ist. Bosanski Brod war die erste bosnische Stadt, die nach der Unabhängigkeitserklärung von Bosnien am 3.März 1992 - also vor genau 10 Jahren (!) - von der jugoslawischen Volksarmee beschossen, am 7.Oktober 92 schließlich von der Armee der bosnischen Serben erobert und daraufhin radikal "ethnisch gesäubert" worden ist. Besonders arg ist diese "Säuberung" auch in und in der Umgebung der Stadt Derventa zu sehen. Wie das damals vor sich gegangen ist kann man am eindrucksvollsten im Buch "Keraterm" des vor kurzen aus Graz verabschiedeten bosnischen Schriftstellers Muhidin Saric lesen, der die Ereignisse um das Gebiet seiner Heimatstadt Prijedor und seinen viermonatigen "Aufenthalt" im serbischen Konzentrationslager "Keraterm" beschreibt. Auffallend ist, daß gerade Tankstellen, Nightclubs und Restaurants vollkommen neu erbaut wurden - da scheinen die Kriegsgewinnler und einzelnen Clan Chefs ihre Macht zu repräsentieren. Makaber wirkte für mich da auch die Fülle des Frühlings, wenn aus den Ruinen, auf denen noch immer das faschistoide Tschetnik Zeichen aufgezeichnet ist, junge Bäume und blühende Sträucher herausragen. Kurz nach der Stadt Doboi beginnt das Gebiet der Bosnischen Förderation, und obwohl noch viel Aufbauarbeit nötig ist, (es sind noch immer große Teile des Landes vermint), spürt man doch sofort den Unterschied, da hier versucht wird alle Häuser zu renovieren und auszubessern. Es hat ja auch Serben gegeben, die bei dem Treiben der Tschetniks in den Kriegsjahren nicht mitgemacht haben und etliche mußten das dann auch, als "Verräter" gebrandmarkt, mit dem Leben bezahlen. Die entminten Felder werden wieder bebaut - hauptsächlich vorerst einmal mit Kartoffeln. In Sarajevo ist die Aufbauarbeit in vollem Gang. In dem von den bosnischen Serben gleich 1992 ethnisch gesäuberten "Novo Sarajevo" entstehen und sind schon neue Siedlungen entstanden und in der Innenstadt sind viele Häuser bereits renoviert worden. Aber natürlich sind die vielen Wunden dieses Bürgerkrieges sichtbar: Einschußlöcher von Granaten und den Gewehren der Heckenschützen, besonders an den Häusern entlang der ehemaligen "snipers alley" und ausgebrannte Gebäuderuinen wie das "Hotel Central" und noch immer die Nationalbibliothek. Die psychischen Wunden der meisten Menschen kann man ja als ausländischer Besuchert nur erahnen. Das Leben in der Innenstadt pulsiert, die Cafes sind voll besetzt, der Bazar boomt und man sieht viele junge Leute und Familien, wobei auch der öfters beschriebene größere islamische Einfluss nicht spürbar ist. Eher sind die Menschen in Sarajevo stolz wieder zu ihrer multi ? ethnischen Tradition zurückkehren zu können. Die Preispolitik ist halbwegs stabil (als Währung wurde die "konvertierte Mark", KM, eingeführt, die zum Wert der alten D Mark gehandelt und meist im Verhältnis 1:2 mit dem Euro getauscht wird). Die Armut und Arbeitslosigkeit ist hauptsächlich in den Außenbezirken sichtbar (aber das ist ja auch in den Städten der "reichen" Staaten so). Wir hatten dieses Mal Glück mit dem Wetter und ich habe die schönen Vormittage (da meine beiden Mitmusiker eher zu den Langschläfern gehören) für ausgedehnte Spaziergänge genutzt, wobei ich gerne auf die, die Stadt Sarajevo umgebenden Hügel gewandert wäre. Davon wurde mir aber dringend abgeraten, da auch dort noch etliche Minen lagern. So wurde uns berichtet, dass im vergangenen Sommer an besonders heißen Tagen einige dieser Minen nur durch diese Hitze losgegangen sind und die Detonationen bis in die Stadt zu hören waren. Das kaputte Auto des Organisators Edin Zubcevic verhinderte leider einen geplanten Besuch von Mostar. Der Besitzer des Clubs Adem Jez hat sich um die Verteidigung der Stadt während der dreijährigen Belagerung verdient gemacht und ist eine Art bosnischer Nationalheld. Der Name des Clubs ist aus einem Wortspiel entstanden; aus dem "Jazzclub" wurde ein "Jezzclub", "Jez" bedeutet übrigens "Igel" und so ist der englische Name des Clubs "Hedgehog". Da der Eintrittspreis bei Konzerten mit KM 5.- relativ gering ist, ist der Club sehr gut besucht. Wir haben jeweils von 21.15 bis 22.30 und von 23.15 bis 0.30 und unser aktuelles "Sky dance" Programm gespielt, wobei wir auch die Komposition "Sarajevo" aus der "Bosn. Tragödie" aufgeführt haben. Noch einige Gedanken, die mir bei meinen Spaziergängen
durch Sarajevo immer wieder in den Sinn gekommen sind: Um nicht in ein falsches "wie kann so etwas passieren und bei uns nicht möglich" - Bild zu kippen: ein hoher General der UNPROFOR Truppen, General Mc Kenzie wurde mit Gefolge von oben erwähnten Borislav Herak in einem der Vergewaltigungslager gesehen und auch von der bosnischen Regierung informell angeklagt, an den Vergewaltigungen der jungen bosnischen Mädchen teilgenommen zu haben. Er lebt heute unbeschadet in den USA. Der in Sebrenica stationierte französische General Morillon wiederum hat vorerst Massaker der Serben geleugnet, dann sich doch wieder erinnert und letztlich das fürchterliche Massaker in Sebrenica nicht verhindert. Während dieses Massakers sind mit einem Fallschirm frische Wäsche, Nahrung und Getränke für den General über Sebrenica abgeworfen worden. Berndt Luef |