Von: "Bernd Luef" Datum: Dienstag, 11. Dezember 2001 18:33 Dear
Martin; Hier ein Tourbericht unserer Woche in Jugoslawien, in der ich mit dem Trio 3 Konzerte gespielt habe, aber auch einige Tage ohne Konzertstress erleben konnte. Wie immer konnte ich am meisten von den Erzählungen und Geschichten der Menschen über ihre Situation erfahren. Obwohl schon eine Aufbruchsstimmung feststellbar ist, sind die Leute doch besorgt, daß mit den Neuerungen und den kommenden Auflagen für die von der EU in Aussicht gestellten Kredite besonders für die ärmere Bevölkerung die Lebenssituation noch schlechter wird. Die meisten Menschen müssen ums tägliche Überleben kämpfen, was angesichts der großen Arbeitslosigkeit sehr schwierig ist. Die meisten Industriebetriebe sind durch die Bombardements vor 2 Jahren zerstört und für den Wiederaufbau fehlt (bis jetzt) das nötige Geld. Daß die Arbeitslosigkeit außerdem durch die "Errungenschaften" des globalen Kapitalismus weniger wird habe nicht nur ich in Zweifel gezogen. Die Preise sind für unsere Verhältnisse natürlich niedrig, aber bei vielen Leuten "geht es sich einfach nie aus", weil eben sehr wenig Möglichkeiten bestehen, überhaupt etwas Geld zu verdienen. In Belgrad herrscht derzeit eine eisige Kälte und die meisten Wohnungen, in denen wir waren, waren - wenn überhaupt - schlecht beheizt und sind durch den Zustand der Räume auch schwer beheizbar. Wie Ihr wißt, ist mir selten kalt , aber da ist mir sogar die Nase in der Nacht eingefroren ... So haben auch z.B. die Leute in einem Restaurant gegenüber der Wohnung, in der wir übernachten konnten, voll angezogen ihr Mittagsmenü essen müssen (eine Tatsache, die mir aufgefallen ist, da das bei uns nicht mehr vorkommt). Natürlich gibt es auch eine Anzahl von "Kriegsgewinnlern", die mit protzigen Autos und Design Gewand (meist auch mit Design Frauen und den dabei anscheinend notwendigen Design Hunden) in teuren Restaurants hofieren und gar kein Interesse an einer allgemeinen Verbesserung der Verhältnisse haben. Wir hatten Glück, daß der Belgrader Journalist und Jazzkritiker Slobodan "Bobby" Arandjelovic von unserem Auftritt beim Jazzfest Panchevo (am Dienstag, den o4.12.01) so begeistert war, daß er uns am nächsten Tag zu einem Stadtrundgang eingeladen hat, bei dem er uns viele historische Daten und aktuelle Ereignisse näher gebracht bzw. erläutert hat (ein Wermutstropfen war nur die oben erwähnte Kälte). Er hat sich übrigens köstlich an meinen Bemerkungen zu der Komposition "Cascabel" amüsiert, die ich ja gegen den mittlerweile (aber nicht überraschenderweise) dem Alzheimer verfallenen Ronald Reagan geschrieben habe. (Wer erinnert sich schon noch an Grenada oder die Contras....) Immerhin war ja Belgrad seit 50 Jahren die einzige Großstadt Europas die "offiziell" von der NATO bombardiert worden ist. Man kann einerseits noch die bombardierten Gebäude sehen und andrerseits von der alten Festung das faszinierende Schauspiel der Mündung der Save in die Donau beobachten, man geht einerseits an Leuten aller Altersstufen vorbei, die mit allem, was es gibt handeln, um etwas Geld zu verdienen und andrerseits gleich daneben im ältesten Restaurant von Belgrad bei einer Art "Cognac mit meze" ("meze" weist auf einen türkischen Ursprung hin und ist in diesem Fall eine ganz spezielle Krautspeise) genießen. Die Eltern von Schlagzeuger Dusan Novakov leben in Pancevo an der Tamis, wo man auf Schritt und Tritt an die gemeinsame Geschichte erinnert wird. Pancevo liegt, obwohl nur 20 km von Belgrad entfernt, schon im Banat, einem der drei Teile der Vojvodina, und gehörte bis zum 1. Weltkrieg zu Österreich - Ungarn. Besonders in der Zeit Maria Theresias hatte die Stadt einen großen Aufschwung. So steht in ihr u.a. eines der ersten Gymnasien (das auch heute noch diesen Schultyp beherbergt), eines der ersten mit Parks und Gehwegen angelegten Krankenhäuser und eine der ersten Brauereien. Vom reinen Wasser der Tamis ist aber leider nichts mehr zu bemerken, da der Fluß durch die, auch während der Bombardements vor 2 Jahren größtenteils zerstörte Chemiefabrik, verunreinigt worden ist. Bei den Novakovs war, außer dem hervorragenden Essen, das uns Frau Novakov aufgetischt hat, ein interessanter "Generationenspiegel" zu erleben, da u.a. die heute schon 86 Jahre alte Mutter von Herrn Novakov, eine rüstige, körperlich und geistig hochaktive Frau uns erzählt hat, daß ihr Vater noch Feldtrommler in der kaiserlichen Armee von Kaiser Franz Josef gewesen ist. Die Kulturszene in Belgrad "boomt" in allen Bereichen, und wie so oft wenn kein Geld vorhanden ist, ist viel Eigeninitiative und Erfindungsgabe gefragt. Ich konnte etliche Musiker wiedersehen, die in Graz Jazz studiert haben und nun versuchen, die Belgrader Jazzszene nicht nur mit prestigeträchtigen großen Festivals wieder aufzubauen. So aktivieren sie (mit Hilfe von Stjepko Gut und dem oben erwähnten Bobby Arandjelovic) gerade wieder den "Club Narodni Dom", der bis vor 13 Jahren eine Anlaufstation für Jazzmusiker war. Die Eröffnung war vor 2 Wochen und wir haben mit dem Trio das zweite Konzert in einer neuen Reihe gespielt. Im "Narodni Dom" finden aber auch Ausstellungen, Literaturveranstaltungen, Rockkonzerte und Internet Workshops statt. Leider sind die Unkosten für ein solches Projekt relativ hoch; so kostet allein ein Visum pro Mann ATS 420.-, die in Yugoslawien abzuschließende Autoversicherung pro Auto ATS 1100.- , Übernachtung und Verpflegung kann man Privatpersonen nicht zumuten, Hotels sind aber für die Veranstalter unerschwinglich und noch immer ist man auf der Autoput vor gewissen willkürlichen Polizeiaktionen nicht gefeit: so mußten wir bei einer Kontrolle je 10 DM bezahlen und haben natürlich auch keinen Beleg dafür bekommen. Letzen Endes ist sich dieses Mal die ganze Tour wenigstens ohne Minus für uns ausgegangen. Liebe Grüße Die 3 Konzerte waren: [5101] [Home] |