[Der Essay Minimundus]

Ingo Nussbaumer
Konzeption - Intention - Dimension

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0 (Stipulation:) Der Ausdruck „intentionale Kunst" umreißt im folgenden die serielle Struktur der Begriffe Konzept, Intention und Dimension. Sie werde ich in einigen Punkten zur Diskussion stellen.

1 Intentionale Kunst grenzt sich gegenüber einer Denkweise ab, die konzeptuelle und perzeptuelle Auffassungen polarisiert, d. h., intentionale Kunst läßt sich weder auf einen Konzeptualismus, noch Sensualismus der Kunst festlegen. So wie ich es sehe, ist die genannte serielle Struktur der Begriffe fähig, eine Polarisierung derartiger Standpunkte zu dekonstruieren. Zunächst aber läßt sich einfach sagen:

1.1 Intentionale Kunst kann einen Satz wie „Die Idee oder das Konzept bildet den wichtigsten Teil der Arbeit." nicht für sich in Anspruch nehmen, obgleich hervorzuheben ist, daß dieser Aspekt einen bedeutenden Teil ausmacht. Aber im Zuge der intentional aufgefaßten Kunst erscheint die gegenständliche Auffassung von Fähigkeiten: Objekten, Materialien und Formen, mit künstlerischer Notwendigkeit, d. h. als konstituierender Bestandteil künstlerischer Hervorbringung. Die Art dieser Auffassung werde ich unter Punkt 7ff skizzieren.

1.2 Intentionale Kunst kann aber auch einen Satz wie: „Die Perzeption oder sinnliche Wahrnehmung bildet den wichtigsten Aspekt der bildenden Kunst." nicht anerkennen. Der Begriff der Perzeption reicht nicht aus, um die wesentlichen Gesichtspunkte künstlerischer Hervorbringung zu bezeichnen, obgleich er zweifelsohne eine bedeutende Funktion hat. Perzeptualistische Kunst orientiert sich vorwiegend am sinnlichen Erscheinungsbild der Dinge und Stoffe, d. h. an der bloß ästhetischen Seite der Kunst, welche doch nur ein künstlerisch kreatives Interesse abdecken kann.

2 Wie verschieden allein der Ausdruck „Konzept" aufgefaßt wird, illustrieren zwei Beispiele: Es findet sich nämlich die seltsame Eigenart, einen Begriff negativ zu konnotieren, sobald er nicht mehr mit dem eigenen System der Auffassung von Kunst kohäriert, bzw. mit den Hervorbringungen von Kunst erkennbar korrespondiert. Die Folge davon ist nicht selten eine Konstruktion differenter Relevanzen von Begriffen, die es scheinbar erlaubt, einen der Begriffe aus dem jeweiligen System zu eliminieren, bzw. seine Bedeutung auf einen anderen zu übertragen. Ich spreche hier von der Konstruktion der Differenz zwischen sprachlicher (bzw. begrifflicher) und bildlicher Relevanz des Ausdrucks „Konzept". So betonte Joseph Marioni in einem Vortrag erst unlängst die perzeptive Seite der Malerei, wobei er die Konzeption für die Malerei gleichsam strich, eben mit der Begründung ihrer bloß sprachlichen Relevanz. Für Clement Greenberg erhielt aber gerade die Konzeption jene bildliche Relevanz, die für die Malerei von ausschlaggebender Bedeutung ist. Dagegen transponierte er die sprachliche Relevanz auf den Begriff der Ideation: „Die Konzeption einer künstlerischen Arbeit ist keine Idee... Eine Idee ist etwas, das sich in Worte kleiden läßt...Newman vermochte sein Bild im Geiste zu entwerfen. Er ist nicht der einzige; und ich sagte, das ist Konzeption. Nun, ich sagte nicht, daß Newman eine Idee hatte."

3 Barnett Newman, auf den sich Greenberg im Zitat bezieht, verwendet den Ausdruck „Konzept" mit dem von „Idee" dagegen in einem konformen Sinne, wenn er beispielsweise das Merkmal der Plasmizität gegenüber der Plastizität des Bildes hervorhebt: „Der Ausdruck ‘plasmisch’ bezeichnet jene Eigenheit der Arbeit, welche die Hervorbringung solcher Formen impliziert, die von abstrakten Gedanken getragen werden oder solche zum Ausdruck bringen, eine Vergegenwärtigung einer inneren Idee oder eines Konzeptes in greifbaren Zeichen, im Gegensatz zum Ausdruck ‘plastisch’, welcher eine Erhöhung oder Glorifizierung bereits bekannter Formen enthält." Newmans Unterscheidung steht hier im Kontext seiner Auseinandersetzung mit der zur Tradition gewordenen klassischen Moderne, wie sie in Europa zur Entwicklung kam. Er sah in der bloßen Fortsetzung der Auffassungen von Cezanne, Picasso, Mondrian usw., die Gefahr eines Akademismus, der nur zur Bewunderung und Wiederholung bereits vergangener Lösungen fähig war. „Plastizität" wurde für ihn zu einem Synonym für derartige Haltungen, sodaß er schreibt: „Neuerdings ist die Propaganda für die plastische Form derart entwaffnend mächtig geworden, daß sie der hartnäckigste und eingewurzelste Feind des neuen Malers wurde."

4 Es ließe sich noch eine ganze Reihe weiterer Verstehensweisen des Ausdrucks „Konzept" anführen. Seine Bedeutung sehe ich darin, darauf hinzuweisen, daß ein Bild im Geiste entworfen wird, und zwar in einer Art, daß alle entscheidenden Faktoren des Bildes schon geistig präsent sind, bevor es noch ins Werk gesetzt ist. Dabei verlangt der Begriff der Konzeption, daß es sich nicht um willkürliche Vorstellungen psychischer Automatismen, assoziativer Ketten oder unbewußter, traumhafter und beliebiger Phantasien handelt, sondern, das Konzept erscheint in einem gewissen Sinne als die potentielle Tätigkeit des Werkes selbst, die sich in der Form einer ideellen Imagination präsentiert, d. h. Gegenstand des Geistes und nicht der sinnlichen Wahrnehmung ist, auch wenn sich die ideelle Imagination anhand einer Skizze konkretisiert. Ich schlage daher vor, zwischen einer reelen und ideellen Imagination zu differenzieren, d. h. zwischen einer Imagination, die auf eine vorliegende oder bereits vorhandene Gestalt (Lösung) rekurriert und einer Imagination, die sich auf eine noch nicht in eine Fassung gelangte Gestalt bzw. einen Gehalt bezieht. In diesem Sinne läßt sich die reelle Imagination als ein mentaler Nachvollzug und die ideelle Imagination als ein mentaler Neuvollzug unserer Einbildungskraft begreifen. Das Entscheidende hinsichtlich der ideellen Imagination sehe ich eben darin, daß ihr als Prinzip eine Idee zugrundeliegt, d. h., daß ein innovatives und kreatives Prinzip die Vorstellung oder Anschauung leitet und organisiert, sodaß sich diese Art der Imagination von allen übrigen Modi des Vorstellens und Anschauens durch ihren spezifischen Charakter differenziert. In diesem Sinne werden Sinnesempfindungen, als auch die unterschiedlichsten Momente der Gefühls- und Empfindungswelt nicht zum ausschlaggebenden Prinzip der Intuition, wenngleich sie darin enthalten sein können. Ganz allgemein formuliert läßt sich sagen, der ideellen Imagination liegt eine Idee als leitendes, organisierendes und ordnendes Prinzip zugrunde, im Falle der Kunst als Gestaltungsprinzip. Und das ist im Sinne eines inneren Erlebniswertes zu verstehen, sodaß in einem erweiternden Sinne von einer erlebten Idee gesprochen werden kann, die mit dem Merkmal der Präsenz gekoppelt ist, in dem Bild und Idee zur Bildidee synergieren. Konzeptuell kann eine solche Gestaltung genannt werden, welche sich auf eine ideelle Imagination genannter Art stützt.

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