[Der Essay Minimundus]

Hans Fraeulin
Not really

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Weil sich der amerikanische Film immer mehr von der Wirklichkeit entfernt, hört man im Kino immer öfter den Satz: "Not really", den das Synchronstudio den Sprechern zuliebe mit: "Nicht wirklich", eindeutscht. "Eigentlich nicht ", müsste es heißen, die Stimme würde sich heben und hätte gar nichts mehr mit der Haltung der amerikanischen Kollegin zu tun, die diesen Satz stets abfällig sagt: "Not really." In Wirklichkeit nicht. Eigentlich nicht.

Kommen wir zum Eigentlichen.. Ich bleibe bei einem Beispiel: Mit der Eroberung von Bagdad verschwand bei der Plünderung des Nationalmuseums der Gesetzesstein des König Hammurabi, den wir alle aus dem Geschichtsbuch kennen, scheinbar spurlos. Bald meldete der Spiegel, man habe ihn wohlbehalten im Pariser Louvre wiedergefunden. Sehr beruhigend. Er steht dort an seinem Platz seit ziemlich genau hundert Jahren, wie man in einem alten Brockhaus nachlesen kann. Vor 30 Jahren habe ich ihn im Louvre gesehen, beiläufig. Ich fahre weiter nach Spanien und im Kloster von Montserrat steht mir der Stein wieder gegenüber. Ich sag ihm: Lass mich in Ruhe! Die Abmachung hat 30 Jahre gehalten. Jetzt verfolgt mich der Stein mit seinen Zeitungsmeldungen und ich frage mich: Was passiert hier eigentlich?

Hammurabi hat mit seinem Gesetz Babylon geeint, Bäckern, Brauern und Winzern grundlegende Vorschriften erteilt, wie man auf den Websites ihrer Standesvertretungen tränenschwer lesen darf, und einen wichtigen Rechtsgrundsatz eingeführt: Auge um Auge - Zahn um Zahn! Dieser Grundsatz ist heute noch jedem Polizisten als Verhältnismäßigkeit der Mittel geläufig. Vor Hammurabi war es offenbar gang und gäbe, wegen eines Viehdiebstahls die ganze Familie des Diebs niederzumetzeln zu dürfen.

Unverhältnismäßig waren seine Strafen gegenüber Wirtsleuten. Als einer vom fahrenden Volk kann ich das verstehen. Irgendwie gehörte auch Hammurabi zum fahrenden Volk. Wer Herrscher sein will, muss überall präsent sein. Karl der Große hatte von Pfalz zu Pfalz zu reisen. Hätte er von Hammurabi gewusst, hätte er sich einige Reisen ersparen können.

Hammurabi griff zu einem Trick. Er ließ sein Gesetz vervielfältigen und auf jeden Markt aufstellen. Immer sieht man ihn, wie er auf dem Thron sitzt und jemandem, der davorsteht, etwas diktiert. Eigentlich, würden jetzt die Historiker lamentieren, sei es umgekehrt: Der Sonnengott diktiert dem Hammurabi sein Gesetz.. So interpretiert man seit jeher das Relief, bevor es mit der Keilschrift losgeht. Wer je ein Büro mit Sekretärin mitbekommen hat, weiß, dass das nicht stimmen kann. Hammurabi diktiert, wenn überhaupt. Jedenfalls sitzt er mit einem kunstvoll getürmten Turban auf dem Haupt, während der andere stehen muss, und fuchtelt mit seinem Szepter. Der andere hat einen Helm auf und ist im Stand genau so groß wie der sitzende Hammurabi mit Vollbart und Königsrock. Dabei hält der mit dem Helm seine Hände so vor sich, als denke er sorgfältig über das nach, was er nun sagen will. Keine Frage, die Herrschaften diskutieren miteinander, nicht auf Augenhöhe. Aber der Turban macht das wett.

Wer da sitzt, hat auf jeden Fall dafür gesorgt, dass sein Gesetz überall in seinem Reich in Stein gemeißelt aufgestellt wird, nicht irgendwo, sondern vermutlich dort, wo Leute zusammenkommen, wahrscheinlich zu irgendwelchen Geschäften, also auf dem Marktplatz.

Von Hammurabi kann jeder Bundeskanzler lernen, Medienpräsenz, Autorität versprühend, alles was man heutzutage braucht, um Bundeskanzler zu sein. Besonders tragisch für den französischen Staatspräsidenten, dessen Amtszeit abläuft in der sicheren Gewissheit, dass der 4000 Jahre alte Gesetzesstein im Louvre nebenan immer noch gilt und hält. Papier ist geduldig, aber leicht verderblich. Ein Hammurabistein verschimmelt garantiert nicht. Was lässt der Bundeskanzler bei Gelegenheit ins Bundesgesetzblatt schreiben? Hat irgendwer schon einmal das Bundesgesetzblatt gelesen? Wer ist das, der Herr Bundeskanzler? Gibt's den überhaupt? Solche Fragen hat Bundeskanzler Hammurabi elegant gelöst, indem er seinem Steinmetz einen Dauerauftrag gab. Hammurabisteine gibt es nicht wie Sand am Meer. Sicher ist nur, dass es mehrere im Sand des Zweistromland gibt. Man muss nur graben. Die Archäologen brüllen schon. Auf nach Mesopotamien! Die dumme Bemerkung auf einer spanischen Druidenwebsite registrieren wir lächelnd beiseite. Berta wies auf das Exemplar auf dem Montserrat hin, worauf Ignacio kategorisch behauptete, das Ding sei nicht von Amurabi, sondern von Hammurabi und befinde sich seit hundert Jahren im Louvre.

Es fällt offenbar schwer sich vorzustellen, dass von einer Skulptur ein zweites Exemplar gefertigt worden sein soll. Ist ja auch eine Heidenarbeit. Heiden, das ist der Schlüssel. Der heidnische Steinmetz von Hammurabi - ein gut bezahlter Arbeiter wie am Fließband.

Eine Steinmetzschule hat er vielleicht auch begründet. Weiß wer davon? Würden jetzt nicht Journalisten auf dieser Geschichte Schwammerln züchten, könnte uns das alles egal sein - bis auf eins. Wo ist der Hammurabistein aus dem Nationalmuseum von Bagdad abgekommen? So kommen wir dem Kunstraub auf die Spur - und entdecken dabei die Ursprünge unseres Zusammenlebens.

25.4.2003



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