entwerfen 2 / urbane implantate SS2003 Inst. für Städtebau, TU-Graz Es ist verlockend Kontinuitäten verstehen zu wollen. Deutungsarbeit. So geben wir uns selbst Gewicht. Stellen uns in größere Zusammenhänge. Richten uns zu Subjekten des Geschehens auf. Auch zu Schöpfergestalten. Ich hörte unlängst einen Moderator in einer Klausur zu seinem Klientel ermutigend sagen: „Keine Sache kann größer sein als der Mensch.“ Diese Annahme ist auch verlockend. Aber irreführend. Und grundfalsch. Weshalb ich den Berufsoptimisten sehr mißtraue. Der Philosoph Günther Anders war da in seiner Kritik mehr als unmißverständlich. In der Beschreibung einer Inferiorität des Menschen gegenüber einem selbstgeschaffenen Maschinensystem. Einer von uns hergestellten „Ding-und Apparatewelt“, die unsere Auffassungsgabe, unser Begreifen längst übersteigt und überfordert. Günther Anders legte diese seine Kritik in der Mitte des vorigen Jahrhunderts vor, als von einer weltumspannenden Infosphäre, gestützt auf vernetzte EDV noch keine Rede war. Er sprach vom „prometheischen Gefälle“. Von einer Differenz zwischen dem Herstellen und dem Hergestellten. Daß wir Größeres schaffen als wir begreifen. Daß der Effekt die angebliche Causa überholen würde. Annahmen die gerade auch zur Archtitektur nachdenklich machen können. Wenn die Vergangenheit als Modell für die Gegenwart gedeutet werden darf, heißt das noch nicht, die Gegenwart sei ein Modell für die Zukunft. Für die Zukunft ließe sich gut an ihr selbst, an unseren Annahmen über Zukunft Maß nehmen. Die Utopie, der Nichtort als Ziel von Sehnsucht. Als erträumter Aufenthaltsort. Als Gebiet, in dem man heimisch sein möchte ... lieber als an gegenwärtig erreichbaren Orten. Das Begehren und das Sehnen sind dabei die Hauptgegenstände des Geschehens. Denn an der Utopie finde ich am aufregendsten, daß man sie haben kann. Ich erwarte von ihr nicht eigentlich praktische und praktizierbare Ergebnisse. Lösungen zu produzieren ist kein Konkurrenzunternehmen zum Haben von Visionen. Und eines muß nicht leisten können, was das andere tut. Heimweh. Nach Zukunft? Sehnen? Schon in sehr alten Texten, im Symposion und im Phaidros des Platon finde ich etwas davon in der Preisung des Eros angesprochen. Begehren. Der Eros des Symposions ist ein Dämon, der zwischen Mensch und Göttern vermittelt. Im Phaidros wird „der schönen Kunst, welche über die Zukunft urteilt“ eine „Mania“ gegenübergestellt. Ein Rausch, der „von den Alten“ nicht für „Schimpf und Schande“ gehalten wurde, sondern als „ein von Gott stammender Rausch, edler als die von Menschen stammende Besonnenheit“ galt. Indem Sokrates den Eros preist, läßt Platon ihn an einer nach meinem Geschmack sehr schönen Stelle sagen: „Aber auch von schweren Leiden und Nöten, wie sie aus altem Fluche über manchen Geschlechtern walten, brachte der Rausch die Befreiung, wenn er zur rechten Zeit entstand ...“ Wohin einen also Heimweh auch führen mag, wir haben keinen Grund, solche „unrationalen“ Befindlichkeiten geringer zu schätzen als andere Zugänge Richtung Zukunft. Ich halte Heimweh für eine Form von Sehnsucht. Es geht heute um Zeiträume und Orte. Um gestalteten Raum. Darüber möchte ich Sie in eine kleine Plauderei verstricken. Ein Haus ist massiver Ausdruck der Sehnsucht nach Zukunft. Annahmen über eine Zukunft, eine Theorie davon, sind Anlaß, planendes Denken und Tun in greifbare Formen zu übersetzen. Wenn ein Haus auch noch mit funktionalen und ästhetischen Qualitäten versehen ist, wenn also entsprechende Erfahrungen eingeflossen sind, hat die Sehnsucht nach Zukunft sich mit einer Achtsamkeit für Vergangenheit verbündet. Hat sie Raum gewonnen, um in diesem Raum auf eine bestimmte Art zu bestehen. Ich vermute, daß ohne solche Achtsamkeit für die Vergangenheit, also auch Reflexion, keine Theorie von der Zukunft und keine Sehnsucht nach ihr einigermaßen möglich wird. Weil die Zukunft nicht betrachtbar ist. [...] [Textauszug! Volltext als RTF-Datei downloadbar.] |
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