Critical Corner #31

From: mischa lucyshyn
Sent: Thursday, August 14, 2008 10:04:46 AM
To: alfred gusenbauer
Cc: alexander vanderbellen; lisa nimmervoll (derstandard)
Subject: notturno

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Während Sie Ihr reines Gewissen vor den Beichtstuhl eines Zeitungsinterviews treibt,
jagt mich, was Ihr Gewissenswaserl nicht zu trüben vermag,
sogar 'im Urlaub'
von einem Alb zum nächsten
und zwischendrin vom Dachboden hinunter,
in Boba´s Küche, um das Gewumms,
das die Vodicener den vornehmlich deutschen
und österreichischen Touristen zuliebe -
um sich als König zu fühlen braucht man heutzutag nur Kunde sein -
die tagsüber ausspannen um nächtens auszurasten,
bis weit in den frühen Morgen hinein
aus Boxen und Verstärkern in die Nachtluft jagen,
in wilden Zügen aus randgefüllten Travarica-Gläsern zu ertränken:

Ihr Vermächtnis.

Bis mein Schädel auf den Holztisch knallt.
Weiter, wieder träumt.

Vor einem blauen Topf, gefüllt mit grünen Feigen.
Dahinter steht ein Schüsserl
mit den reifen, aufgebrochenen Feigen,
außen rouge et noir im Innern.

Der Wecker tickt und tickt,
der Lavendelbund raschelt im Luftzug
meines Schnapsgeschnarchs.

Herzig.

Von ihrem Vermächtnis
weiterträumt.
Traurig.
Was da entstand in Ihrem Gehen
und nun aufgeht
seit Sie weg sind,
in dem  gut gedüngten Boden,
über dem jene Winde sanft in Blätterwäldern rascheln,
die der untote Sandkastenkanzler und Lippenlinke meines Traumes
einem übermäßigen Genuß schlecht gekochter Käferbohnen zuzuschreiben hat.
Verhalten muß er sich´s nicht mehr,
zumal wer auf diesem Dünger weiterackert
nicht viel ununtoter durch meine dalmatinischen Sommernachtsträume stakst:
Die Landwirtchristentumfraktion, in deren Reihen etwa irrlichtert,
der es vom parlamentarischen Nasenbohrer aus Leoben
immerhin zum Generalsekretär hinaufgeschafft hat,
wo ihn nun die Spannung zwischen General und Sekretär zu halten scheint -
einem General, der´s bevorzugt kurz zu denken, um sich im fernen Wien
nicht durch allzulanges Sekretärs-Wauwau in eine Kapitalblamage hineinzumanövrieren -
was mißlingen muß, naturgemäß - -
oder der gemütliche Pröllinfant,
der bisweilen aus der Reihe tanzt -
doch hurtig galoppiert der Willi
mit seinem Steckenpferd -
in meinem Traum -
der österreichischen Leitlkultur hinterher,
den Nonkonformen einzufangen:
wenn die zwei dann über Wald und Wiesen traben,
faßt der Willi bald die Zügel fester, bis das Steckenpferd
sein odolisiertes Grinsgebiß spruchreif klappern läßt,
wie´s uns allen gut geht,
wenn´s der Wirtschaft gut geht.
Davon weiß auch Ihre neue Frau Minister des Innen,
gleichfalls Landwirtchristentumfraktion,
die Ihnen Ihr Tiroler Pyrrhussieg beschert hat -
Ihrer Kanzlerschaft ist ja alles zugefallen
wie einem verträumten Schulbub
seine Christbaumpackerln, die er vor lauter Freud´
zu faul ist, unterm Baum hervorzukramen
und ein bißl näher anzuschauen,
Hauptsach´ ist doch, daß sie da sind
und die Wunderkerzerln spritzen -
welcher - so ein schönes Pferderl in dem Packerl -
Ihren Hornbläser
unters goldene Dachl expedierte.
Danaergeschenk!
Aus dem Bauch des Gauls klingt´s leise
nach Kieselsteingeprassel
und hört man ein knappes
Kulturdelikt
zischeln.
Mary Justice bricht aus dem Gestrüpp
und schleift ihren Schild hinter sich her,
auf dem ein durchgestrichenes Buch gemalt ist,
und womit sie sich gegen jedwede Lektüre wehrt -
das ist nur billig, immerhin ist diese Dame blindgebunden.
Mary humpelt etwas müde auf die Schotterlady zu
und schlägt ihr dreimal
mit dem stumpfen Holzschwert auf´s Haupt:
Brauch´ma net, brauch´ma net, brauch´ma net.
Das sollte doch genügen.

Legen Sie Ihrer Herrengassenresi doch ein Präsenterl zum Adieu
unter Ihren Kanzlerchristbaum - ich empfehle L´Esprit de lois,
zum Beispiel Buch XIX/14.

In meinem Albtraum
trampelt nun -
völlig unmotiviert, wie alles immer halt so ist in Träumen -
der Komtur durch Ihr Kanzlerwohnzimmer
mit dem wunderschönen Kanzlerchristbaum,
brüllt dauernd
piu tempo non ho
piu tempo non ho
bläst die hübschen Kerzerln aus
und da ist es plötzlich finster,
der Komtur hackt mit der Axt,
die ihm noch vom sinistren Don im Schädel stak -
das
Made in Austria
am Pickerl ist gefaked, sagt eine Kommentatorenstimme aus dem off,
es ist die des Josef Broukal,
wie ich zu erkennen glaube -
wild auf den Baum ein,
die Nadeln prasseln auf den Boden,
die Flügel des Baumspitzengerls
krachen in das Bücherregal mit der verstaubten
halbverdauten Marx-Ausgabe,
der Komtur brüllt noch immer
piu tempo non ho
und blutet doch ein wenig heftig aus dem Spalt,
den kurz davor die Hacke gestopft hat,
und jetzt zieht der Komtur
einen großen Blechkanister
unter dem Rapid-Leiberl heraus -
so dick ist der Komtur also gar nicht,
und eine schöne blutige Glatze hat er,
piu tempo
und auf dem Blechkanister steht groß
OMV
drauf und der Komtur
wachelt mit seiner Axt in einer Hand,
piu tempo non ho
mit dem Kanister in der anderen,
und verpritschelt so Benzin -
nein nein
Travarica Travarica
Travarica
rispondimi
und Benzin verpritschelt er über dem Christbaum
und dem Marx und
verrai
verrai
jetzt zündet
der blutende Glatzenkomtur
ein Streichhölzl an -

WUMMMMMMMMMM!!!!!!!!!!!!!!!!!

Aus den
hinauf hinauf hinauf
schlagenden
grellen
orangen
Flammen
krabbelt gemächlich der Lindwurm,
busselt ein paar Feuerwehrbuben väterlich die Stirn
und verzieht seinen Schnabel,
wie er ihm gewachsen ist,
schief,
und höhnt mit hohler Stimme,
wie Sie sie aus der Kugelgießszene des Freischütz kennen:

Hier bin ich.

Haaaaahaaahaahahahahahahahaha

-

Über dem Wörthersee hängt ein reines Gewissen
in wabernder Ungestalt herbstlichen Nebels.
Von ganz, ganz weit
und sehr verlassen
karge Akkorde
Franz Schuberts.

Scheiden
meiden
was man liebt

...

Vor Boba´s Haus leuchtet der Oleander.
Die Eineinhalb-Liter-Plastikflasche mit dem Travarica ist leer.

Über mir schwebt ein blauer Topf mit grünen Feigen.
Das war´s.
Dobro jutro.

Leben Sie wohl.
Herzlich aus Vodice,
miša lucyshyn


resethome
35•08