"Über das Glück"
Von Martin Krusche


Das ist eine Nacht der Poesie, meine Schöne. Auch wenn uns eine weite Strecke trennt. Die Regenzeit steht zwischen den Hügeln. Alles hat in mir schon am Nachmittag zu klingen begonnen. Die mühsame Route ist unerheblich. Der nasse Korridor hierher war tückisch. Ich bin wieder auf sicherem Boden. Gläser klingen um mich, es steht eine merkwürdige Hitze im Raum und einige Desperados suchen an der Theke nach Glück für diese Nacht. Was immer das unter den Goldgräbern bedeuten mag. Was immer ihr Glück sein darf. Ich bin nicht mit diesen schweren Werkzeugen beladen. Mit keinen Brecheisen. Ich bebe auch nicht an diesem unruhigen Blick. Das kommt von deinen schwarzen Augen.

Neben mir saß eben ein Bursche, der ganz offensichtlich litt. Woran? Er hat es mir erzählt. Der Alkohol.


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Er hatte sich zu mir gesetzt, da er mich schreiben sah. Er sagte: „Die Menschen schreiben heute nicht mehr. Was tust du da?“ Ich hab es ihm so erklärt: „Mein Mädchen hat ein schweres Herz. Ich hab ein Gedicht geschrieben und es eben abgeschickt.“ Das hat ihm gefallen: „heute / an den ufern / heißer flüsse / bist du / ein schatten / in der nacht / so diskret / und wild / in meine träume / gestürmt“

Er, dieser Mann mit der verwunschenen Seele, blieb noch eine Weile an meinem Tisch. Ich sah ihn an. Dieser Schmerz, der sein Gesicht neu gezeichnet hatte. Aber. Ich bin schon woanders. Deine Stimme. Ich rieche dein Haar und deine Haut. Ich spüre dich an mir. Ich halte dich im Arm. Bist du dort? Schlafend? Träumend? Ich hab mich schon eingefunden und dich an mich gedrückt. So ist diese Nacht.

Ich bin hier von Stimmen umflutet. Zugleich bin ich dort, wo du mich jetzt treffen und erreichen kannst. Schutzlos. Ohne Waffen und Rüstzeug. Merkwürdig leicht. Ich hab dich heute nicht losgelassen, meine Arme nicht von dir genommen, als ich gegangen bin. Woran ich mich erinnere: ich lauschte auf das Flüstern in deinem Leib und in deinem Herzen. Heute: nicht um die Worte zu entziffern. Nur um sie klingen zu hören. Ich spüre deinen Kopf an meinem Hals. Ich spüre deine suchende Hand. Ich höre dich noch davon sprechen, daß du nie Halt gehabt hättest. Aber so ist es eben. Oft wird uns das Herz gebrochen. Darin verändern wir uns. Darüber schweigen wir.

Erinnere dich, sieh was du in Händen hast, dich selbst. Und! Sieh was deine suchenden Hände finden können. Wovon erzählt deine Wildheit? Ich weiß es. Auch wenn ich woanders bin: du bist in meinen Armen. So ist das. So einfach ist das. Da liegt ein Feld jenseits der gebrochenen Herzen. Wir leben.

Ich mag diese Erinnerung sehr: ein leerer Raum mit den kraftvollen Sträuchern vor den Glasscheiben. Sie grünen sogar im tiefen Winter. Diese Tür, die den Raum öffnet ... ins Grüne. Eine Decke auf dem Boden, etwas Wärme. Was immer das düstere Wetter verschüttet, was immer in den Fundamenten sich tut, du hast in meiner Haut, in meinem Fleisch Erinnerungen hinterlassen. Ich spüre noch genau, wie du dich mit dem Arm auf dem Boden abgestützt hast und ich dir sagen mußte: laß dich aus! Laß los!

Du bist so zart und wiegst leicht in meinen Armen. Es rührt mich an, daß du deine Kraft vergeudest, um mich mit dir nicht zu belasten. Ich spüre dein Zögern dich auf mich zu legen. Was immer dein Gewicht sein mag, du bist eine süße Berührung ... gemessen an dem was mein Leib kennt; da ich vermutlich fast doppelt so schwer bin wie du, ein etwas vernarbter Eisbrecher, ein wüstes Floß in diesen Brandungen.

Ich weiß, daß du nicht in den Mühlen der Gewalt gewesen bist, sondern auf andere Arten gequält wurdest. Ich wüßte nicht zu sagen: ist jeder Schlag besser als solche Abgeschiedenheit? Verrückt, weil ja niemand zwischen diesen beiden Möglichkeiten sollte wählen müssen. Schläge oder Verlassensein. Das ist obszön. Man lehrt uns zu vermuten: ist vielleicht jede Attacke besser als im Stich gelassen zu werden? Nein. So denkt man nur, um die zahllos geschluckten Attacken erträglich zu finden. Das führt nirgends hin.

Jetzt schreibe ich dich zu mir her, während du mich vielleicht zu dir hinträumst. Jetzt. Jetzt halte ich dich im Arm und du brauchst dich nicht gegen den Boden, gegen die Schwere deines Herzens, gegen dein Gewicht abstützen. Wie leicht du mir bist. Weil ich mich offenbar gegen dich nicht schützen muß. Wie leicht du mir bist mit deinem wilden Pulsschlag. Daß wir so bedenkenlos ineinander können. Daß du mich dazu bringst, auf Waffen und Rüstzeug zu verzichten. Auf eine spezielle Art nackt mit dir zu sein.

Mein Leib ist als ob ich im Krieg gewesen wäre. Mein Herz weiß Dinge, die zu wissen ich ausschlagen würde, wenn ich die Wahl hätte. Aber die Wahl habe ich nicht. Ich wünsche mir nie ein anderer zu sein. Nur daß der Klang der Peinigungen abebbt und daß es mich nicht zynisch werden läßt.

In Waffen zu gehen heißt schweigsam sein. Aber so will ich nicht sein. Das kenn ich schon. Ich kenne das Bluten und das Grauen. Ich kenne Outland und seine Kälte. Ich weiß wie es ist, wenn dir der Leib genommen wird, wenn man in dieses Nichts geworfen wird, wo man nur mehr ein Seele voll Furcht ist, nichts sonst. All das sind Episoden. Fußnoten. Das sind Momente einer Existenz.

Was für eine Falle! In Waffen zu gehen und zu denken, das könne einen schützen. Auch weil es nichts ist. Gemessen an so einem zärtlichen Moment. Der ein Augenblick sein kann. Oder Stunden. Egal. Vor allem aber: ein zärtlicher Moment, der diese Idee eines gepanzerten und waffenstarrenden Menschen, nein: Mannes schließlich verwirft. Statt dessen so ein Atemzug in Innigkeit. Diese Intensität, in der kein Schutz mehr nötig ist. Keine Wehrhaftigkeit. Kein Mißtrauen. Kein Stahl. Nichts von all dem, was eine Zumutung ist.

Das vergiftete Erbe aus Jahrtausenden. Wir beide haben diesen Jahrtausenden für eine Stunde getrotzt ... vor diesem Fenster mit den Sträuchern, in diesem hellen Raum, auf dieser Decke am Boden. Wir haben das alles zurückgewiesen, aufgelöst, in einem Brennen der Nähe, das erlaubt, völlig wehrlos zu sein. Niemand hat uns erzählt, daß das so geht, daß das sein darf, daß es das geben soll. Wollten wir fragen, niemand würde uns das vorschlagen, nahelegen, erlauben. Niemand würde sich auf unsere Seite schlagen und sagen: ich verstehe das nicht nur, ich ahne auch, darin ist eine Radikalität der Herzen. Nein. So kommt es nicht. Aber. Was wir gespürt haben, ist nicht auf die Legitimation durch einen Souverän angewiesen. Augenblicke des Glücks stehen außerhalb dieser Zuweisungen.

Du bist eine Mutige. Und aufregend. Daß ich mit dir und in dir zerfließen kann. Dies ist eine Nacht der Poesie. Ich halte dich noch immer in den Armen. Ich rieche dein Haar und deine Haut. Ich spüre dein schweres Herz, wenn es sich auf mich legt. Ich spüre deinen leichten Leib, wenn er auf mir ruht. Ich trinke deine Tränen und werde von deinen Küssen satt. So ist das.

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