"Über das Wünschen"
Von Martin Krusche


Gewidmet. Einigen.
In deren Augen ich aus nächster Nähe blicken durfte.

Wenn ich über mein Leben nachdenke, von dessen Zeitspanne ich gerne annehme, es sei erst unwesentlich mehr als die Hälfte meiner Jahre vergangen, wenn ich die Fülle betrachte, von der ich weiß, manch anderen wäre die Hälfte davon zu viel, wenn ich aber auch die Schrammen beachte, die mir das beigebracht hat, und die in mir nachklingen, wenn ich dann spüre, daß jede erlebte Freude diesen Klang und seine Farbe ändert, wenn ich heute ahne, daß man mit dem Wünschen sehr vorsichtig sein muß und dennoch einen Wunsch habe, der alle anderen überdauert, sie zu überragen scheint, dann lautet dieser Wunsch so: ein Herz frei von Kummer zu haben.


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Ich will diesen Wunsch nicht durch Einwände verkleinert sehn. Ich will nicht hören, was Lebensklugheit daran zurechtzurücken hätte. Ich will mir diesen Wunsch so erhalten, wie er entstanden ist. Und ich weiß, daß Wünschen so geht. Genau so. Wider alle vernünftigen Bedenken. Ich weiß, daß Wünschen so geht, weil auch mein Kind so wünscht. Auf diese kompromißlose Art.

So bewahre ich den Anspruch darauf, daß dieser Wunsch nicht geschmälert werden darf. Dieser Anspruch meint den Wunsch selbst, nicht seine Erfüllung. Das ist ein wichtiger Unterschied. Darin bin ich anderen Menschen gegenüber auch streitbar.

Unter all den Eigenschaften, die mir an diesen und jenen gelegentlich unerträglich erscheinen, halte ich zwei für besondere Zumutungen. Die Achtlosigkeit und die Gewalttätigkeit. Jede Kränkung, die man jemandem zufügen kann, scheint von diesen beiden Neigungen inspiriert zu sein. Viele, die das trifft, haben nie einen Weg gefunden das von sich zu weisen. Zu verhindern. Oder auch bloß angemessen darauf zu antworten.

Denn wo man mit gleicher Münze zurückzahlt, verdoppelt man die eigene Bitterkeit. Und wo man darauf nur mit Schweigen reagieren darf, vertieft man die eigene Bitterkeit. Beides scheint die Achtlosen wie die Gewalttätigen zu bestärken. Die Bitterkeit macht manche ohnmächtig. Andere grausam. Viele aber stumm.

Ich habe meine Vorstellungen davon. Als Beispiel einer Dutzendgeschichte. Als Sohn eines überaus gewalttätigen und amoralischen Vaters. Sowie einer Mutter, die dem kaum etwas entgegenzustellen wußte. Also weiß ich recht verläßlich: jede Demütigung, jeder Schlag hinterläßt eine Spur und ein Echo.

Eine Seite in mir ist damit unversöhnlich. Eine andere läßt mich Auswege suchen. Ich weiß nicht all zu viel darüber. Denn man bleibt in diesen Dingen befangen, kann kaum zu sich selbst auf Abstand gehen. Jede Demütigung, jeder Schlag ist eine Vernichtung von unverzichtbarer Distanz. Das ist aber nicht, was ich mir unter Nähe vorstellen möchte. Denn zur Nähe sagen zwei ja. Zur Distanzlosigkeit nur einer.

So verhält es sich auch mit der Achtlosigkeit. Und der Gewalttätigkeit. Dazu sagt jeweils nur einer ja. Überwältigt so den anderen. Das ist unannehmbar. Daraus bin ich zu einem Anhänger der Poesie geworden. Etwas das sich vom griechischen Wort „poesis“ herleitet. Was so viel wie machen, anfertigen bedeutet. Also etwas zum Entstehen bringen. So bin ich als Anhänger der Poesie jemand, dem es gefällt, wenn etwas entstehen kann. Daran finde ich Vergnügen. Entgegen dem recht verbreiteten Vergnügen etwas zu zerstören.

Das bringt einen auf Ideen, was man den großen Grobheiten gegenüberstellen könnte. Vielleicht nicht als Antwort. Aber als Entgegnung. Wo Kummer entsteht, werden manche Betroffene eventuell nicht antworten können. Entgegnen können sie doch immer etwas. Wenn es keine Worte sein wollen, dann vielleicht ein Blick. Ein Gefühl. Ein Wollen und ein Wunsch. Ich halte Entgegnung für unverzichtbar. Daß sie auch noch gehört, von anderen wahrgenommen werden könnte, wäre ein weiterer Gewinn.

Heute denke ich: die angemessene Entgegnung auf die Achtlosigkeit ist Aufmerksamkeit. Denn wenn das eine unerträglich ist, dann muß es etwas anderes geben. Ohne diese Gewißheit wäre jede dieser Bürden unfaßbar. Noch bevor ich für etwas Kraft aufbringe, muß ich dessen Sinn kennen. Es liegt viel Sinn darin, sich gegen eines zu wehren, wenn man annehmen darf: es gibt ein anderes. Verliert man diese Annahme, ist der Sinn in Gefahr und Widerstand gegen die Peinigung wird als Möglichkeit aussichtslos.

Wenn mich jemand schlägt, wäre ich geneigt zurückzuschlagen. Da will ich nicht heucheln. Ich bin ein Mensch von starken Emotionen. Mühsam zivilisiert. Aber. Eine bemerkenswerte Entgegnung wäre das nicht: zurückzuschlagen. Wenn also eines unerträglich ist, was wäre dann das andere? Ich weiß nur eine Antwort darauf. Die Zärtlichkeit. Sie ist die Entgegnung. Und die Antwort auf Gewalt. Sie ist die Poesie, die etwas entstehen lassen will, wo das andere zerstören möchte.

Sie ist kein sicheres Mittel, um in den Lauf mancher Dinge wirksam einzugreifen. Achtlosigkeit und Gewalttätigkeit brauchen auch andere Entgegnungen. Manchmal sollte man wehrhaft sein. Wenn man es selbst nicht sein kann, muß wer anderer dafür einstehn. Ich denke, man muß solchen Beistand fordern. Auch wenn es gerade niemand hören will.

Man sollte im Wünschen mutig sein. Die Wünsche sind nicht der Vernunft verpflichtet. Was auch meint: wenn einer gerade unvernünftig sein muß, könnte inzwischen jemand anderer vernünftig sein. So könnte der Wunsch lauten: steh mir diesen Augenblick bei, daß ich unvernünftig sein kann. Ich möchte wünschen! Wonach mir im Herzen ist. [...]

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