Abstracts
Sixth Annual Conference on Austrian Literature and Culture
"Visions and Visionaries in Literature and Film of Modern Austria"
October 2001

Andrea Bartl, University of Augsburg
"Anti-Visionen der österreichischen Gesellschaft in Werner Schwabs Fäkaliendramen"

Als der österreichische Dramatiker Werner Schwab 1994 im Alter von nur 36 Jahren starb, hinterließ er ein Werk, das an Innovationskraft und analytischer Sozialkritik bis heute seinesgleichen sucht. Seine Stücke, insbesondere die Fäkaliendramen, wurden von Kritikern und literarischen Gremien hoch gewürdigt und gehören bis in die Gegenwart zu den meistgespielten zeitgenössischen Theatertexten. Dennoch steht eine umfassende lliteraturwissenschaftliche Würdigung seiner Arbeit noch aus, auch wenn bereits in einigen Aufsätzen Wichtiges zutage gefördert wurde. Die Fäkaliendramen liefern eine schonungslose Analyse der österreichischen Gesellschaft durch alle sozialen Schichten. Die Themen scheinen für die österreichischen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg typisch zu sein, erhalten aber bei Schwab eine neue Akzentuierung: der nie aufgearbeitete Faschismus, die latente Brutalität bis in die Familien hinein, Borniertheit und Intoleranz, Sadismus. Schwab knüpft hier gattungsspezifisch an Volksstücke etwa eines Ödön von Horvarth an und erhöht deren Grad an Provokation bis zum für den Zuschauer beinahe Unerträglichen. Den "Monstern" des österreichischen Alltags stehen bei Schwab von dem Leben in dieser Gesellschaft deformierten Künstlerfiguren gegenüber—allesamt Dillettanten mit Hang zu Haß und Selbsthaß, die für den Zuschauer das einzige Identifikationsangebot auf der Bühne bleiben.

Mein Beitrag will dieses Spannungsfeld sichtbar machen: Was wird an Österreich kritisiert? Gibt es Ansätze einer Gegenutopie? Welcher Handlungsspielraum wird den Künstlerfiguren zugestanden? In welcher Tradition steht Schwab, und wo liegt – im Gegenzug – seine Originalität begründet? Ein weiterer Faktor zur Beantwortung dieser Fragen ist die in Schwabs Dramen einzigartige Sprache, die zum Medium sowohl analytischer Kritik als auch utopischer Neuschöpfung wird.

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