Abstracts
Sixth Annual Conference on Austrian Literature and Culture
"Visions and Visionaries in Literature and Film of Modern Austria"
October 2001

Frank Pilipp, Georgia Institute of Technology
"Subversive Visionen: Zum Motivgeflecht in Ingeborg Bachmanns Das dreißigste Jahr"

Ingeborg Bachmanns Texte sind von einem eigenen Motivgeflecht durchzogen unter Verwendung einer Sprache, die reich ist an Ambiguitäten, Symbolik und Metaphorik, an Verschlüsselungen, Verfremdungen und Anspielungen, welche die Tiefenstruktur ihrer Texte konstituieren. Ziel dieses Vortrags ist es nun, durch eine genaue Analyse dieses Motivgeflechts in den Erzählungen Das dreißigste Jahr die Bedeutungsfülle der Texte von innen heraus aufzuschlüsseln und in ihre Tiefendimension vorzudringen. Dadurch soll der Sinngehalt der Erzählungen erhellt, das subversive Potential der Texte in seiner ganzen Radikalität dargestellt und Bachmanns Utopie-Projektionen klarer umrissen werden, als dies bisher in der Forschung geschehen ist.

Das den Prosaband subtil, jedoch gleichsam leitmotivisch durchziehende Motiv der Wildheit (auf das im einzelnen eingegangen wird) dient, im diametralen Gegensatz zum Postulat einer metaphysischer Realität, der Andeutung des Subversiven, Anarchischen, das es im kulturell determinierten Charakter des Menschen freizusetzen gälte, um sich der verschütteten Dimension des Sinnlich-Triebhaften wieder bewußt zu werden und den, wenn auch nur punktuell möglichen, Austritt aus der anthropozentrischen Bedingtheit zu bewerkstelligen.

Am Ende münden die Erzählungen in eine Aporie. Die philosophische Fragestellung einer utopischen Existenz, der Verwirklichung eines antizivilisatorischen Standpunktes, löst sich nur scheinbar mit dem Einschwenken in die "Utopie des gegebenen sozialen Zustands", einer nach grundlegender Hinterfragung der Strukturen anthropozentrischer Weltanschauungen kritischen Auseinandersetzung mit dem Bestehenden und einem zweckoptimistischen Ausblick auf Künftiges. Da der totale Austritt nicht in Frage kommt, muß zumindest ein utopiegerichtetes, ruckweises Verändern der allem zugrundeliegenden Spielregel des Denkens ins Auge gefaßt werden. In diesem Sinn sind die sieben Erzählungen Befreiungsversuche, die dem Ziel einer kulturkritischen Bewußtseinserweiterung gewidmet sind.

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