Abstracts
Sixth Annual Conference on Austrian Literature and Culture
"Visions and Visionaries in Literature and Film of Modern Austria"
October 2001

Gerd Schneider, Syracuse University
"Jeder jagt einem Traum nach": Archetpyische Sehnsuchtsbilder im kleinfamilären Schonraum und ihre Gefährdung bei Johannes Mario Simmel"

Der in Wien geborene Johannes Mario Simmel ist einer der erfolgreichsten Bestseller-Autoren deutscher Sprache. Schon Ende der Siebzigerjahre betrug die Gesamtauflage seiner Werke, die in über 28 Ländern erschienen, über 40 Millionen Exemplare, eine Zahl, die sich am Ende dieses Jahrhunderts auf 50 Millionen erhöht hat. Simmels Bekanntheitsgrad innerhalb der westdeutschen Bevölkerung ist relativ hoch. Es ist errechnet worden, dass 85% der Bevölkerung von Simmel gehört haben, wozu wahrscheinlich die Verfilmung seiner Romane und ihre Fernsehübertragung beigetragen hat. Bis vor kurzem als Unterhaltungsschriftsteller abgetan, nimmt man ihn jetzt ernst und lädt ihn zu Werkstattgeprächen ein, wie es z.B. im März des Jahres das Deutsche Literaturarchiv in Marbach getan hat.

Der Erfolg der Simmelschen Werke besteht meiner Meinung darin, dass die Hauptfiguren seiner Romane nicht Helden im klassischen Sinne sind, sondern recht problematische, unglückliche oder gar gescheiterte Existenzen, die sich in ihrer kleinbürgerlichen Existenz bedroht sehen. Diese Drohung geht von einer sie gefährdenden Außenwelt aus, bestehend aus korrupten Wirtschaftskartellen, internationalen Verschwörungsorganisationen, rechtsradikalen Morgenluftwitterern, geheimen Kommandozentralen, die ihren Sitzin Nobelhotels haben und die Nobelbordells der Spitzenklasse zur Erholungaufsuchen. Der gebrochene Protagonist bei Simmel nimmt den Kampf gegen die seinen kleinfamiliären Schonraum bedrohenden Elemente mit mehr oder weniger Erfolg auf. Fast jeder seiner Romane enthält Träume und Sehnsüchte; in seinem Roman Bitte, lass die Blumen leben sagt der Protagonist:"Hinausgeschleudert worden bist du [...] Ein neues Leben kannst du beginnen[...];" in Vaterland magst ruhig sein heißt es: "Jeder von uns will etwas Großes, Wunderbares im Leben. Jeder jagt einem Traum nach," und das Schlüsselmotiv von gemalten Mandelbäumchen in dem Roman Der Mann, der die Mandelbäumchen malte steht für "ein Symbol der Hoffnung," wie der Ich-Erzähler Roger Ryan bekundet. Das häufig benutzte DU und verallgemeinernde JEDER spricht die Leser an, die in einer sie verunsichernden Welt ihre archetypischen Sehnsuchtswünsche und die Utopie des Guten und Schönen und Wahrendurch die Simmelschen Romane trotz allem bestätigt sehen, und die in Simmels Romanen Glaube, Liebe, Hoffnung finden, was sie in der zum kritischen Denken anregenden Gegenwartsliteratur zumeist vermissen.

Ich werde in meinem Beitrag auf ausgewählte Werke Simmelseingehen, inkl. seinen l998 erschienenen Roman Der Mann, der die Mandelbäumchen malte. Ich werde ebenfalls seinen im März dieses Jahres bei Beck veröffentlichten Essayband Die Bienen sind verrückt geworden: Reden und Aufsätze über unsere wahnsinnige Welt heranziehen, sowie das Simmelarchiv an der Boston University auf Materialien überprüfen.

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