Null-3, Geheiligt sei dein Name! Rom erhält Konkurrenz. In Gestalt eines weltlichen Kulturchefs auf die Grazer Erde geschmuggelt, stellt seit Beginn des Jahres ein Wesen die Weichen: Lorenz. Er kam nicht als Bettler auf die Welt. So ein Glaube an moralische Werte hat vielleicht die Vorlaufgottheit erfreut. Es war an der Zeit, aus dem Stall herauszutreten. Die sanfte Gewöhnung an die wahre Gottheit funktionierte aufs Beste im Körper des Intendanten für tourismustaugliche Kunstwirtschaft. Mit Recht hält Lorenz von sich am meisten. Was er zum Schaffen braucht, ist schon in seiner Hand: Zeit und Geld. Gut Ding braucht Weile und Scheine, deshalb lässt sich Lorenz das Gute viel kosten und nährt das Schlechte nicht. Er hat den Zeitpunkt seiner Geburt nicht zufällig gewählt. Vor seiner Ankunft schickte er den Fetisch Neoliberalismus. Da die Menschen darüber entzückt waren, wurden sie gläubig und beteten - anfangs ohne Grund, aber später aus tiefer Überzeugung – die schmerzlich sich verkleinernden Reste ihres Vermögens an. In einer Art einleitendes Ritual riefen Propheten mehrmals täglich „Gott kommt wirklich“. Ebenso wurde die „Knechtung der Kunstschaffenden“ vorausgesagt. KünstlerInnen zerstörten so lange ihre eigenen Werke, bis endlich die Kunst als „fertig“(gemachte) Lorenzpuppe in öffentlichen Räumen die Wände schmückte. Schlag Mitternacht bei Jahreswechsel kam der Komet, um seine eigene, göttliche Geburt zu verkünden. Alles bisher Gewesene sollte von nun an die verzerrte Luftspiegelung seiner Ankunft sein. Schluß mit dem Reservegott einer katholischen Sekte, und Schluß mit künstlerischer Pseudopatzerei! Lorenz hat alles gut vorbereitet. Und so traf die Vorsehung ein, da auch die Menschen alles vorbereitet hatten für ihren Gott. Mit Spannung blickt Lorenz auf seine Baustelle, wo sich die Geburt der Leuchtringe des zur gleichen Zeit aus dem Vaterleib schraubenden Kunsthauses vollzieht. Viele Neonsonnen werden scheinen und kleine Menschen bestrahlen. Die Buchstaben von „Graz darf alles“ werden tanzen und „Das hat Graz noch nie gesehen“ schreiben. Gut und Böse werden sich rasch und für immer voneinander trennen. Denn Lorenz erschuf Graz im Nu. Mit nur wenigen Gedanken. Null-3-Werke fallen wie Schnee vom Himmel und befruchten das Land. Noch ist das Prachtwerk unvollendet, noch bangen die Menschen in Graz. Sie wissen nicht, dass und was sie tun. Aber bald, bald kommt der Erlöser in den Genuß, sich selbst und die heiligen Kunsthallenböden zu küssen, auf dass niemand ihm zuvorkomme und ihn oder „es“ entweihe. Wer ist er? Diese Frage wird Graz die Stadtchronik verbrennen. Denn allein durch die Kraft der Allmacht geschieht „es“. Aus Sacher-Masochs Knochen und der masochistischen Ästhetik der künstlerischen Avantgarde wird der erste Lustschrei geboren. Wie prüde scheint dagegen die Kulturpolitik von jeher gewesen! Besonders froh war Lorenz über seine Fleißaufgabe, die Kunstfreiheit zu fangen. Dieser Schandfleck ist bei näherer Betrachtung schrecklich hässlich, aber eine hervorragende Geisel des freien Marktes. Aus ästhetischen Gründen, verwandelte Lorenz den Fleck in viele Zeugen Null-3s. Seitdem dienen sie Lorenz als Zeitvertreib. Mal halb Tier, halb aufziehbares Spielzeug, mal Mensch mit Schweinskopf. Lorenz langweilt sich nicht mehr. Sacher-Masochs Knochen entwickelte sich zu einer ansehnlichen halben Erinnerung mit ganzen zwei Jahrzehnten Graz und Masochismuszorn des 19. Jahrhunderts. Denn Lorenz ist ein gerechter Gott. Im Gegensatz zu den zahlreichen Studien über Donatien-Alphonse Marquis de Sade war Sacher-Masoch nur das Erotik-Eck gegönnt gewesen. Dieser Schmach sollte nun mit Hilfe von braven Gläubigen ein Ende gesetzt werden. Dankbar eilte die Handvoll Auserwählten an Lorenzens Seite. Sie hatten sich früher Künstler genannt, den Irrtum aber eingesehen und nahmen den Knochen aus halber Erinnerung in die Hand. Da ihre Gottesfürchtigkeit aber nicht groß genug war und sie sich deshalb schämten, wollten sie sich zur Sicherheit bestrafen. Sie fanden an sich jedoch keine ungestrafte Stelle mehr. Also brachten sie ein Opfer dar, indem sie den nicht auserwählten ArtgenossInnen ins Gesicht schlugen. Mit einem artistisch unvorstellbaren Spagat zwischen egoistischer Gottverachtung und moralischer Verpflichtung, Lorenz zu dienen, vollbrachten sie schließlich ihr Werk. Nur um Gott-Lorenz, aber auch sich selbst nicht Konkurrenz zu machen, beschlossen sie, nie wieder zu sprechen. Lorenz war sehr erfreut und schrieb seinen Helfern die Sünden gut. Endlich konnte die Stadt ein Festival des Sacher-Masoch-Knochens feiern. Schon am Bahnhof, in den örtlichen Geschäften und wohin man auch tritt, wird der Kampf vom Wollen gegen das Können geführt. Nur Lorenz ist vollkommen. Deshalb tragen sogar Laternen Präservative. Das Gemeine soll sich nicht mehr weitervermehren. Ein nackter Frauenrücken mit aufgezipptem Mieder soll als „Phantom der Lust“ die Menschen ersatzweise beglücken. Daß nicht geschieht, was einst geschah und nie mehr geschehen soll! Die Zeugung des reinen, unbefleckten Menschen, kann in Sprache nicht ausgedrückt werden. Nichts wird dem Wunder gerecht. Null-3“-Schriften quellen bereits aus den Abfallbehältern der Stadt! Sie haben sich als Anleitung zur gewöhnlichen Schmerzbereitschaft entpuppt. Noch immer sind die Menschen schuldig. Doch zweifellos stammt die „natürliche“ Werbesprache von einem Beauftragten, der sich als Künstler, also als Lorenz verstellt. Es ist nicht genug. Die Menschen warten auf das Große. Es ist nicht genug, was verkündet wird und an Häuserfronten, Autobahnauffahrten, in Geschäftsauslagen zu lesen steht. Lorenz selbst muß sprechen. Einer der unzähligen Liegestühle im öffentlichen Raum bietet Gelegenheit, das erste Wort als Sitzerlebnis zu hören. Die Frage, ob jetzt die Welt aus Freude explodiere, ist längst in blauweiße Streifen eingraviert. Da Sacher-Masochs literarischer Nachlaß verschollen ist, wird jedes Lorenz-Wort zum Anschlag auf die bisherige Literatur werden. Es soll das Falsche ganz leicht werden und in Form eines vom All angezogenen Aschenregens die Erde verlassen. Das wirkliche Wort hingegen muß ein Eisstrahl sein und spürbare Wunden ritzen. Erst wenn die Stadt ein Furchenfeld ist und die Menschen qualvoll sich bücken, darf Sacher-Masochs Knochen in Ruhe sein Gnadenbrot essen. Aber das wirkliche Sonntagsgefühl – als hätte Lorenz selbst Sacher-Masochs Feder geführt – ist ein Blick in die Klassiker der Sexualliteratur. „Venus im Pelz“, „Psychopathia“! Die Menschen haben es gefühlt, und drucken diese Werke seit Jahrzehnten in beachtlicher Auflagezahl nach. Götter werden sie nie sein, aber mit malträtierten LiebesdienerInnen samt ihren erregten Peinigern kann die Entdeckung des Phänomens als Vorschau künftiger Messen geprobt werden. Wem die nach alter Zeitrechnung so benannte „Erotikmesse“ bisher zu trivial erschienen war, der mache sich auf den Weg in die Neue Galerie und stehe als eigenes Kunstwerk umher. Das wirklich Wahre ist neu wie Gott-Lorenz selbst. „Es“ hält die Stadt, das Leben und die Grazer Luft ganz frisch. Und den Schatten der masochistischen Schablonen macht nur einer gnadenlose Konkurrenz. Er. Deshalb wird Sacher-Masoch, der Historiker und Chronist der kulturellen Traditionen des austro-ungarischen Imperiums nur zur Zierde biographisch ausgestellt. Auf Sacher-Masochs Knochen war irrtümlich ein Stück der vergessenen Hälfte geblieben. Aber der BesucherInnensturm lässt sich nicht verführen. Eingepeitscht auf nie geschaute Verhältnisse, wenden sie sich dem Richtigen zu. Bald ist auch der letzte Zweifler überzeugt, daß die masochistische Neigung die einzige Auflehnungsform gegen herrschende Normen sei. Diverse Ruten (im Fenster) funkeln schwarz und drohend vor sich hin. Der Teufel soll ruhig kommen. Auch er ist ein anderer. Die Lebenszeit-Feinde des vergessenen Sacher-Masoch waren nicht echt. Es waren Deutschnationale und ähnlich politisch Motivierte. Harmlose „Panslawismus-“ und „Vaterlandsverrats-Jäger“. Sacher-Masochs literarische Hinwendung zu nicht-deutschen Nationalitäten der K.u.K. Monarchie muß mit Nichtbeachtung bestraft werden. Kein unschlimmer Teufel ist des an die Wand malens wert. Was jucken Lorenz und seine Helfer die Wiener Tageszeitung - damals wie heute „Die Presse“ genannt! Was die vergessenen Vorwürfe wie „slavisches Parasiten- und deutsches Renegatentum“! Die Presse schlechthin ist dem Gott ja gewogen, will sie nicht in die Hölle kommen. Und wenn ihr die Hölle nicht fürchterlich erscheint, dann spinnt Lorenz alles Stroh zu Gold und spricht: „Ihr sollt schreiben, was ich euch auftrage und das Geld, dass ich euch gebe, ehren! Zeigt mich an, aber bringt die bezahlte Anzeige ins Volk!“ Es ist gut, die Zeit vor Lorenz zu vergessen. Denn nach Erscheinen der ersten „unmoralischen“ Novelle hatte Sacher-Masoch schon zu Lebzeiten schmerzvolle Ehr. Sein Engagement für Religions- und Völkerfreiheit konnte endlich als „Beispiel einer bedenklichen, krankhaften Dichtung“ herangezogen werden. Im Lust-Schmerzzeitalter wäre das die böseste Konkurrenz! Abartige Unpersonen werden ab sofort nur mehr jene genannt, deren Erfurcht vor Lorenz zu wünschen übrig läßt! Die vor kurzem in Salzburg enthüllte Skulptur“ wurde nach einem Aufschrei der Empörung nur deshalb wieder verhüllt, weil Gott-Lorenz sie nicht selbst erdacht hat! Es müssen die in dieser Sekunde gültigen Lorenz-Maßstäbe erreicht und unter Schmerzen ertragen werden. Wo früher die in dieser Sekunde gültigen Konventionen überschritten worden sind, weht heute ein verkehrter Wind. Das weiß, wer einsieht, unter Lorenz kein/e KünstlerIn zu sein. Die Ebenen der Zensur und Diskriminierung Andersdenkender (miteingeschlossen Kunstschaffender) sind im Lorenzischen Gottesstaat wie aufgehoben. Durch die Gegenüberstellung von konservativen Moralisten und Aufklärern siegt am Ende anstatt der Humanismus, der Voyeurismus. Lorenz muß sich entblößen, dann wird die Nacktheit neu wie nie gesehen. Was wusste Sacher-Masoch davon, da er im streng zensurierten 19. Jahrhundert lebte! Und was wussten folgende Generationen davon, die Tabus gebrochen hatten! Gott-Lorenz wird alles bisherige als Fälschung entlarven und ohne eine Fuß auf die Insel zu setzen, über die Mur wandeln. Wirklich Karriere macht aber erst die künstlerische Überhöhung der Höhe, auf welcher er zu schreiten pflegt. Hoch ragt ein Turm der Ideen, so hoch, dass die dafür eigens gebaute Spiegelung sie nicht erfassen kann. Um bildlich darzustellen, was nur Gott-Lorenz selber weiß, schlägt eine Video-Brandung Wellen an die Spiegel. Sacher-Masochs galizische Robin Hoods für Geknechtete oder die Darstellungen des jüdischen Lebens in Galizien können sich am Salzamt beschweren oder mit Salzwasser brausen. „Phantom der Lust, du sado-masochistisches Verbindungselement, du nur mit Qualen zu ertragender Widerspruch Gott-Lorenz'scher Vermarktung! Sehet! Auch Gott wird verfolgt, gepeinigt und gekreuzigt. Sacher-Masoch kann ruhig als Ganzes auferstehen. Er wird sofort danach sündigen. Er wird wie schon einmal die Flucht ergreifen und Graz vergessen, der erste Atheist Null-3. Doch der Gefahren nicht genug! Gott wird gedoubelt! Kulturhauptstadt-Geschäftsführer Eberhart Schrempf ist vom Wahn besessen, Dichter zu sein! Noch ehe auch nur ein einziger Heiligenschein (ã jörg vogeltanz) die Kunsthausfassade beleuchtet, noch ehe der jüngste Tag anbricht, treibt auch schon ein Widersacher seinen Keil in den Glanz. Die Stimme des Übeltäters spricht vorlaut zum Volk: Man darf bei all dem eines nicht vergessen: Graz hat im Masochismus eine Kompetenz erreicht, die im internationalen Vergleich beispielgebend ist. Als gäbe es Vergleichbares mit Gott! Graz ist nicht schlecht. Graz tut jetzt alles, um nicht aus dem Paradies vertrieben zu werden. Nicht nur Graz, nein, das Land und seine Medien nehmen dankbar irdisches Gold, um die heiligen Worte zu verkünden. Eine Reihe von Widersachern hätten demzufolge das kommende Jahr zum gottlosen erwählt und die Stadt wieder ordinären Fetischen verschrieben! Jenen Fetischen, die Gott Lorenz einst eine Fußstapfe waren, planen, nun selbst an der Kunsthauskanzel zu stehen, ja sogar genageltes Opfer zu sein! Oh dunkler Schatten der Vergangenheit! Du wirst doch nicht verkauft und bunt bemalt werden! Christine Werner auf kultur.at Christine Werner Home |