Wozu Kulturpoltik?
Von Monika Mokre

Die konsequente Ökonomisierung aller Lebensbereiche setzt Kulturpolitik zunehmend unter Druck. Wenn jeglicher Eingriff in den freien Markt der Begründung bedarf und wenn als Begründungen für Politik ausschließlich ökonomische Argumente zugelassen werden, dann sind öffentliche Finanzierungen für Kunst und Kultur kaum mehr zu legitimieren. KünstlerInnen und Kulturschaffende erinnern sich in dieser Situation nostalgisch an bessere, wohlfahrtsstaatliche Zeiten, in denen zumindest in Österreich Kulturfinanzierung Teil staatlicher Selbstrepräsentation war und appellieren an kulturelle Werte und darauf aufbauende Identitäten. So wird etwa der Vereinnahmung von Kunst und Kultur als Dienstleistung im GATS der Begriff der „kulturellen Diversität“, verstanden als Differenzierung zwischen nationalen Kulturen, entgegengesetzt und für die EU Verfassung definiert eine prominente Gruppe älterer Staatsmänner Kultur als „Quintessenz europäischen Identitätsbewusstseins“.

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[martin krusches telenovelas]

Nun wissen wir natürlich alle seit langem, dass diese Argumente im besten Falle problematisch und im schlechtesten unsinnig sind. Was bedeutet kulturelle Identität genau? Warum sollte sie sich an nationalen Grenzen orientieren, innerhalb derer doch im Zuge der Nationalstaatsbildung regionale und Gruppen- Identitäten radikal eingeebnet wurden? Warum sollte sie andererseits eine europäische sein, wenn die Völker Europas einander doch bis vor kurzer Zeit heftig bekämpft haben? Ist es außerdem wirklich so, dass Kulturpolitik kulturelle Identität fördert? Und, wenn ja, ist kulturelle Identität etwas, das gefördert werden soll? Warum eigentlich wollen wir künstlerische und kulturelle Aktivitäten erhalten und welche Form der Kulturpolitik ist dafür geeignet?

Versucht mensch, Fragen dieser Art zu diskutieren, so wird meist geantwortet, dass die Argumente für Kulturförderung ja nebensächlich sind, solange sie zum Ziel führen, und dass es gilt, Angriffen auf die Kulturpolitik eine gemeinsame Strategie entgegenzusetzen. Doch diese Haltung führt zu einer kontinuierlichen Ausdünnung der Inhalte von Kulturpolitik und macht es unmöglich, herrschenden kulturpolitischen Prioritätensetzungen auf nationaler oder subnationaler Ebene alternative Konzepte entgegenzusetzen. Und aus der Logik nationaler oder regionaler kultureller Identität ergeben sich die großzügige Finanzierung von Repräsentationskultur wie MuseumsQuartier, Albertina oder Graz 2003 als folgerichtige Maßnahmen.
Eine offensive Diskussion um Zielsetzungen der Kulturpolitik ist daher nötig. Diese könnte von einem Begriff der Vielfalt ausgehen, der nicht als Multinationalität zu übersetzen ist, sondern unterschiedliche Aspekte hat:
• Kulturelle Vielfalt der Regionen, Volksgruppen, Generationen;
• Ökonomische Vielfalt von Institutionen und Unternehmen;
• Inhaltliche/formale Vielfalt verschiedener Kunstformen;
• Politische Vielfalt der Interessen und Meinungen.

Eine solcher Art verstandene Kulturpolitik anerkennt die gesellschaftliche Bedeutung der Dynamik von Kollektividentitäten, versteht sich selbst aber nicht als Instrument zur Stabilisierung oder Schaffung solcher Identitäten. Vielmehr sieht sie ihr Ziel in der Bereitstellung notwendiger Strukturen für eine lebendige Demokratie. Denn demokratischer Diskurs ist nur möglich, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft als Einzelne und als Gruppe an ihm teilhaben können. Dies erfordert erstens eine bestimmte materielle Grundausstattung des Individuums, die für den/die Einzelne/n Kapazität für politische Partizipation schafft, bzw. erhält. Diese ist durch Sozialpolitik herzustellen. Zweitens ist es aber auch nötig, Gruppen artikulationsfähig zu machen, bzw. zu erhalten, was wiederum durch Kulturpolitik zu geschehen hat. Ökonomische Vielfalt ist in diesem Konzept nicht Selbstzweck, sondern Voraussetzung der politischen Vielfalt, ohne die Demokratie nicht möglich ist.

Eine solcher Art verstandene Kulturpolitik sieht nicht die kreative Dienstleistung für die Wirtschaft (in Form der creative industries) als ihre Aufgabe an, sondern die Schaffung und Erhaltung von „cultural commons“, deren Relevanz im gesellschaftlichen und nicht in erster Linie im ökonomischen Bereich liegt.

Eine solcher Art verstandene Kulturpolitik schafft nicht monumentale staatliche Repräsentationsflächen, sondern setzt sich im Gegenteil gegen derartige Monopole und Oligopole für eine vielfältige und kleinteilige künstlerische und kulturelle Landschaft ein.

Eine solcher Art verstandene Kulturpolitik spricht sich gegen die Wirksamkeit von GATS im kulturellen Bereich nicht mit dem Hinweis auf kulturelle Identitäten aus, sondern um die Möglichkeit demokratischer Politik vor der Vereinnahmung durch den Markt zu retten.

Aus einem solchen Verständnis von Kulturpolitik lässt sich etwa folgender Paragraph für den europäischen Verfassungsvertrag formulieren:

Kulturelle Vielfalt ist ein wesentlicher europäischer Wert, dessen Erhaltung und Förderung Ziel der Europäischen Union ist. Unter kultureller Vielfalt verstehen wir nicht nur die Vielfalt der Regionen, Volksgruppen, Generationen, sondern auch die ökonomische Vielfalt von Institutionen und Unternehmen im Kunst- und Kulturfeld, die inhaltliche und formale Vielfalt verschiedener Kunstformen und die politische Vielfalt der Interessen und Meinungen. Europäische Kulturpolitik zielt nicht auf Harmonisierung oder Stabilisierung von Kulturen ab, sondern schafft und schützt Strukturen, innerhalb derer die dynamischen und auch widersprüchlichen Entwicklungen von Kunst und Kultur möglich sind, die eine wesentliche Bedingung demokratischer Öffentlichkeit darstellen.


Monika Mokre (little feature)
FOKUS (Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien)

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