Verwerfungen
(Kulturpolitik entläßt sich aus der Politik)
Von Martin Krusche

Im Rückblick zeigt sich, daß wir nicht überrascht sein mußten. Was uns heute verblüfft, hat mehr als deutliche Entstehungsgeschichten. Vielleicht ist es vielen von uns schwer gefallen, beim Lesen der Zeichen den eigenen Augen zu trauen. Ich skizziere hier ein aktuelles Fallbeispiel und einige seiner Hintergründe.

Die steirische Kulturpolitik beschert uns ein Kuriosum, dessen Tendenz freilich nicht neu ist. Sie etabliert zwischen sich und ihrem Klientel eine profitorientierte Company, die keinem kulturpolitischen Diskurs verpflichtet werden kann. Die GmbH im Eigentum der Stadt Graz läßt via Marketing- und PR-Abteilung bloß noch behaupten, was eigentlicher Gegenstand kulturpolitischer Prozesse ist. Die Auseinanersetzung um Inhalte. Diskursqualitäten ...

res02.jpg (15963 Byte)

[martin krusches telenovelas]

Man kann es so deuten: der Sektor Staat wandelt sich an der Schnittstelle zum Sektor3 zum Sektor Markt. Oder: Staat und Markt gehen partiell in eins ... was, wie gleich sichtbar wird, in der Medienszene schon vor Jahren nagenommen wurde. Diese Wendung führt zu Konflikten. Die Graz2003-Kontroverse ist bloß ein Beispiel dafür. Ein Beispiel von passabler Anschaulichkeit. Nun zum Rückblick.

Die "meko 99" in Linz war für mein Milieu ein aufregendes und anregendes Ereignis. Ich denke, es war das erste österreichweite Meeting von erfahrenen Medienleuten aus der autonomen Kultur- und Initiativenszene. Zeitungswesen, freies Radio, Internet.

Es ging um Erfahrungsaustausch, inhaltliche Arbeit, Kooperationsstrategien und vieles mehr. Ein Staatssekretär durfte uns langweilen, indem er referierte, was er vor allem in unseren Papers gelesen hatte. Aber es ging auch anders. Es gab reichlich Diskussionsstoff, wenn etwa Maria Windhager vorlegte: "Alles, was nicht im Dienst und Format des Marktes daherkommt, wird an den Markt verwiesen." Wenn Oliver Marchart die Agenturen beleuchtete, denen solche Neigungen nachgesagt wurden: "Und wo die Macht des Nationalstaates endet, dort sind nationale Interessensvertretungen, Kammern, Korporationen genauso hilflos wie der Staat. So verliert der Korporatismus langsam, aber stetig seinen Sinn (begleitet von der sogenannten Aufkündigung des wohlfahrtstaatlichen Konsenses der Nachkriegszeit)."

Das hieß, es seien Agenda neu zu verteilen, es müsse neues Engagement entstehen, um notwendige Aufgaben zu bewältigen. Von wem? Und wie? Marchart meinte dazu: "Politisierung heißt für das Feld der Kultur vielmehr, daß zivilgesellschaftliche Assoziationen ihren vom Korporatismus zugewiesenen Gilden-Status ablegen und sich um andere und mehr Dinge zu kümmern beginnen als um ihrer eigenen Partikularinteressen." (Das war eine der Aussagen, die ich besonders spannend fand, weil sie forderte, was unser Milieu längst von sich zu leisten behauptete.)

Robert Zöchling konstatierte, Politik und Geschäft seien in eins gegangen, damit das Geschäftemachen ungehinderter vorankäme. Und er meinte damals schon illusionsfrei: "Wie sich die Dinge heute befinden, ist auf sonstwen eher zu hoffen als auf den Staat."

Wir fuhren aus Linz heim und hatten eine Menge Schlüsse zu ziehen, aus denen schleunigst Handlungspläne abzuleiten waren. Es war längst viel in Bewegung gekommen, was größere Verwerfungen ahnen ließ. So kam es ja auch. (Alle vorherigen Zitate aus "sektor3medien99".)

Theorie und Praxis ... Zu der Zeit hatten die meisten von uns die Lektüre von Foucault vermutlich schon hinter sich, Derrida und Zizek kursierten, Bourdieu scheint mir bis heute die Debatten zu beeinflussen, einige mochten auch alte Zausel wie Varela und Maturana oder den wesentlich bekömmlicheren von Foerster. Jedenfalls stand nun im Fokus: was ist das und was heißt das: Sektor 3? Wie verhält er sich zu den beiden anderen Sektoren Staat und Markt? Falls uns daran was nicht paßte: wie sollte es sich dazu verhalten?

Im Jahr 2000 wählte die IG Kultur Österreich das als Schwerpunktthema: "sektor3/kultur". (Und dokumentierte die gleichnamige Konferenz in einem Buch.) Um diese Dinge sollte man ein wenig wissen, wenn man verstehen möchte, worum es in der exemplarischen Graz2003-Kontroverse unter anderem geht. (Definitionshoheit und territoriale Hoheit, auch im Internet.)

Viele von uns haben auf die Position eines quasi-aristokratischen Künstlerdaseins vezichtet, die noble Distanz zu Alltag und politischen Fragen ausgeschlagen, sich auch intensiv den Zusammenhängen und Bedingungen ihrer Anwesenheit als Staastbürgerinnen und -bürger gewidmet. Denn vor allem dabei, in politischer Anwesenheit, werden ja laufend die Bedingungen von Meinungsfreiheit und "Freiheit der Klunst" verhandelt.

Bei der erwähnten Konferenz stellte F.E. Rakuschan fest: "Kommunikationen schaffen soziale Räume. Der sektor3/kultur ist ein Sozialraum, der nicht zuletzt auch durch die Virtualisiereung des Sozialen (Neue Medien) formiert wurde und wird. sektor3/kultur ist demnach untrennbar mit der sogenannten Netzkultur verbunden. Dieser Sachverhalt allein zwingt schon, die konstituiven Bestandteile dieses Raumes entsprechend darzustellen, weil Begriffe von Handlungsfeld bis Grenzüberschreitung, da diese an euklidisches Raumverständnis gebunden sind, hier – wie in anderen sozialen Zusammenhängen auch – heute keinen Sinn mehr machen. In einem konstruktivistischen Verständnis sind Kommunikationen eben nicht bloß Inventar von sozialen Räumen ..."

Wie immer man unsere Diskurse und Schlüsse bewertet, man kann vielleicht allein an diesen Zitaten erkennen, wie heftig der Kontrast ausfallen muß, wenn ich in der Graz2003-Kontroverse nachhaltig frage, worin etwa die 2003-Company denn nun den besonderen, von ihr behaupteten Wert des Internets sehe, den man angeblich gar nicht mehr erläutern müsse. Wenn zum Beispiel die einzige kohärente Antwort darauf vom Geschäftsführer jener Firma kommt, welche die Website realisiert hat, während die Funktionstragenden der Company selbst schweigen. [...]

[Dies ist ein Textauszug. Den Volltext finden Sie hier als RTF-Datei zum runterladen.]


Quellen:
Gerald Raunig, Martin Wassermair (Hg.): "sektor3medien99" (Kurskorrekturen zur Kultur- und Medienpolitik), IG Kultur Österreich, 1999
Gerald Raunig (Hg.): "sektor3/kultur" (Widerstand, ulturarbeit, Zivilgesellschaft), IG Kultur Österreich, 2000
IG Kultur Österreich: www.igkultur.at
Die Graz2003-Kontroverse (Eine Intervention): www.kultur.at/kunst/2003/
Graz 2003, Kulturhauptstadt Europas: www.graz03.at/
Das online-Forum der 2003-Company: www.graz03.at/web/2003/forum.nsf

[core] [reset] [03•02] [mail]