Passagen
(Einige Notizen zum Thema Netzkultur)
Von Martin Krusche

Netzkultur. Das meint eine Kultur „under net conditions“. Also unter Bedingungen einer EDV-gestützten Vernetzung. Mit den Netzwerken sind Maschinensysteme und Menschen gemeint. Communities. Und ihre Anbindungen. Auch ihre jeweils spezielle Form von Access. Der Begriff Access, Zugang und Zugangsregelungen, bezieht sich dabei nicht bloß auf Mensch-Maschinen-Schnittstellen. Sondern auch auf die Niveaus an Medienkompetenz, über die man verfügt, um an den Interfaces zurechtzukommen. Um in den Netzwerken zu bestehen. Um ein Netizen mit besseren oder schlechteren Möglichkeiten zu sein.

Derlei „Übergangszonen“, an denen sich zwei einander fremde oder sehr grundlegend unterscheidbare Bereiche berühren, haben für mich besondere Anziehungskraft. Schleusen. Passagen. Grauzonen. Abschnitte die zu überschreiten oft grundlegende Zustandsveränderungen verlangt. Ein zentrales Motiv unserer Kultur. Mit vertrauten Begleiterscheinungen. Fährleute. Das Navigieren. Ob Initiation des jungen Menschen oder die letzte Bootsfahrt des Toten, für die Übergänge gelten immer besondere Bedingungen.

Die auf Maschinen gestützte Vernetzung von Menschen, wie sie inzwischen als eine die Welt umfassende Infosphäre erscheint, läßt Fragen nach Kommunikation und Aufenthalt in einem neuen Licht erscheinen. Kommunikationsverhalten und Raumsituationen verändern sich zuweilen radikal, wo reale soziale Begegnung überbrückt oder gar ausgeschlossen wird. Damit erfährt menschliche Gemeinschaft inzwischen erhebliche Veränderungsschübe. Nicht bloß in ihren strukturellen Bedingungen. Auch in den Inhalten und in den Anlässen von Gemeinschaft.

Die Benutzung der von uns geschaffenen Werkzeuge verändert uns. Der Binärcode als neuer „Generalcode“ der Zeichenverarbeitung ursprünglich von einander getrennter Genres hat uns Anwendungen angeboten, durch die aus Rechenmaschinen Simulationssysteme wurden.

cont07c.jpg (18042 Byte)

Indem wir selbst uns damit erweitern, unsere kognitiven Möglichkeiten mit solcher Prothetik ausbauen, klinken wir uns in eine „Apparatewelt“ ein, die wir zwar selbst erzeugt haben, die aber unsere Auffassungsgabe bei weitem übersteigt. (So eine frühe Medien- und Technologiekritik des Philosophen Günther Anders.)

Da Kognition keineswegs bloß ein Geschäft des Verstandes ist, liegt es nahe, den Stand der Dinge mit ganz unterschiedlichen, vor allem auch nichtrationalen Mitteln zu prüfen. Fotografie erscheint mir dabei als ein sehr aufregendes Mittel. Um so mehr, als sie ihrerseits gerade so stark wie noch nie Einwirkungen der neuen Technologien erfährt. Anders gesagt: eben jetzt sind technischer Fortschritt und Kostenentwicklung dahin gekommen, über die Möglichkeiten der Digitalfotografie so viel Druck auf das Feld der analogen Fotografie auszuüben, daß ambitionierte Leute diesen Stand der Dinge kaum ignorieren können. Das schafft Konraste.

Ich denke, von diesem Anfordrungsdruck wird die herkömmliche Fotografie auch profitieren. Weil es ja meist anregend ist, in Frage gestellt zu werden. Deshalb bin ich vergnügt, daß die Faktor-Crew sich auf den kultur.at-Jahresschwerpunkt „Leiblichkeit und virtuelle Räume“ einläßt, mit dem Projekt "Raum und Körperlichkeit" darauf Bezug nimmt. Und daß wir in einem Wechselspiel der Schritte unsere diesbezügliche „Korrespondenz“ genau an die Übergangszonen zwischen analogen und virtuellen Räumen setzen. Was mir daran besonders gefällt: niemand weiß, wohin diese Reise führt.


krusche home
übersicht "faktor" | reset | übersicht | home
[17~03]