Die Lebensbedingungen sind’s,
nicht die Menschen

Von Franz Wolfmayr

Angriffe auf das Recht, behinderter Menschen, zu leben, werden heute nicht mehr im Rahmen staatlich verordneter Vernichtungsaktionen geführt.
Sie werden in der Öffentlichkeit („Es war eine Gnade, dass er/sie sterben durfte.“) bzw. über philosophische Beiträge geführt. Behinderte Menschen und ihre Angehörigen kommen auch heute noch in eine fatale Lage, wenn sie gegen die Rationalität tödlicher Thesen moderner Philosophen ankämpfen.

Solche Philosophien und Meinungen beziehen ihre Substanz aus der Erfahrun.: Dass das Leben behinderter Menschen als „leidvoll“ und „unwert“ begriffen werden kann, dass die Lebensverhältnisse von Familien mit behinderten Angehörigen nur als „über- bzw. unmenschlich“ beurteilt werden können, hat zu einem großen Teil mit den Lebensbedingungen zu tun, die unsere Kultur eingerichtet und unsere Politik zu verantworten hat.

Es ist richtig:
• Familien mit behinderten Angehörigen sind heute oft so belastet, dass wir uns nicht vorstellen können, wie sie die Belastung aushalten und zusammenhalten und sich lieben können,
• Behinderte Menschen werden immer noch unter Lebensbedingungen abseits des „wirklichen Lebens“ versorgt, die es ihnen und uns nicht ermöglichen, miteinander vertraut zu werden und sich daher absolut fremd zu bleiben müssen,
• Behinderte Menschen müssen immer noch in Gruppen leben und auftreten, so dass sie in der Öffentlichkeit als Bedrohung erlebt werden und niemand mit ihnen in Beziehung tritt,
• u.v.m.

Rahmenbedingungen sind notwendig
Doch es gibt heute schon andere Beispiele. Beispiele von Menschen, die ihr Leben in die Hand nehmen konnten, weil sie Rahmenbedingungen vorgefunden haben, die ihnen das ermöglichen. Die Steirische Behindertenhilfe hat 2001 die Broschüre „Das Leben in die Hand nehmen“ aufgelegt.

Die Frage nach dem Unwert des Lebens stellt sich dann nicht mehr.
In einer Kultur, die solidarisch Rahmenbedingungen geschaffen hat, in denen behinderte Menschen selbstverständlich Kindergärten und Schulen besuchen können, in denen sie sich beruflich qualifizieren und einer Beschäftigung und Arbeit nachgehen können, in denen behinderte Menschen in sozialen Beziehungen, auch in sexuellen, leben und Familien und Lebensgemeinschaften gründen können, in denen Gemeinden und der Staat Rücksicht auf ihre besonderen Schwierigkeiten dabei nimmt und zum Ausgleich solidarisch die Assistenz- und Dienstleistungen bereitstellt, die sie in ihrem Alltagsleben unterstützen, wird sich die Frage nach dem Wert oder Unwert des Lebens behinderter Menschen nicht mehr stellen.

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Vom „Schützling“ zum Bürger
Seit der Deklaration der Menschenrechte der Vereinten Nationen (1948) wurde weltweit eine Bewegung in Gang gesetzt, die sich nicht mehr aufhalten lässt. Nicht weil behinderte Menschen arm sind oder leiden, erhalten sie Leistungen vom Staat. Sie erhalten diese Leistungen weil sie Bürger und Bürgerinnen sind und ein Anrecht darauf haben, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben Teil zu haben. Vom „Schützling“ zum Bürger.
Solidarisch dafür politische Rahmenbedingungen herzustellen, ist eine zentrale Aufgabe der Politik.

Die Möglichkeiten zu einem erfüllten Leben müssen verteidigt werden.
KLUMP verweist auf eine Zeit, in der behinderte Menschen ausschließlich verwahrt und als „Ballast“ dargestellt wurden. KLUMP verweist aber auch darauf, dass behinderte Menschen wie andere Menschen auch in der Lage sind, ihr Leben in die Hand zu nehmen, wenn die Rahmenbedingungen dafür gegeben sind.
Dass solche Rahmenbedingungen und damit die Möglichkeit, das Leben behinderter Menschen und ihrer Familien als erfüllt und glücklich zu erleben, verteidigt und ausgebaut werden müssen, zeigen aktuelle Diskussionen (um Pflegegeld und Dienstleistungen im neuen Behindertengesetz wie z.B. Assistenzleistungen zum Wohnen, zum Arbeiten, zur Entlastung von Familien etc.).

Leben lebenswert machen
Der Wert eines Lebens kann nicht in einer Person liegen. Er ist als gesellschaftliche Konstruktion immer ein Ergebnis von geglückten Beziehungen. Die Möglichkeiten dazu sind abhängig von den kulturellen Rahmenbedingungen und den handelnden Personen.
So gesehen geht es in der Debatte um sozialpolitische Leistungen nicht nur um Budgets oder um Beschäftigung. Es geht um Kultur. Leben lebenswert zu machen, ist das Ziel.

Franz Wolfmayr ist Geschäftsführer der Chance B und Präsident des Dachverbandes Die Steirische Behindertenhilfe

 

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